Samstag, 20. Juni 2009

Im Puracé-Nationalpark (Puracé, Kolumbien)

Die Fahrt von La Plata nach Puracé ist holperig. Staub und kalter Wind dringen erbarmungslos durch die Plastikwand des Pick-Ups hindurch. Je hoeher wir kommen, umso kaelter wird es. Das ist der Páramo: rauh und wild. Nach 5 Stunden erreichen wir San Juan. Es ist neblig und nieselt. Die Ranger Station im Puracé Nationalpark scheint verlassen. Doch immerhin im Restaurant, einer Bretterhuette am Strassenrand, treffen wir auf eine Frau. Sie braut gerade Kaffee und Agua Panela. "Nein, hier gibt es keine Unterkunft.", meint sie. Die Unterkuenfte im Park seinen 17 Kilometer von hier entfernt. Ob spaeter nochmals Transport vorbeikommt weiss man nicht so genau. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sonst muessten wir halt zu Fuss gehen. Aber wir koennten ja erstmal was essen. Der Parkwaechter sei auch bald zurueck, oder wir wuerden ihn bei den natuerlichen Thermalquellen finden... Und so machen wir uns auf den Weg. Nach einem kurzen Marsch durch den Páramo erreichen wir die Thermalbaeder. Inmitten der rauhen Umgebung eine Oase, ein kleines Paradies. Gruene und orangene Moose und skurrile Pflanzen, wie struppige kleine Palmen, oder grosse rote Blumen, die wie Spargeln aus dem Boden stehen, umgeben die milchig blauen Wasser des Flusses, der immer wieder natuerliche Pools bildet. In der Luft haengt der Duft von Schwefel, es steigt Dampf aus dem Wasser. Das Ganze sieht aus, wie eine kuenstlich, perfekt angelegte Gartenanlage. Doch so perfekt kann nur die Natur selber sein... Hier wollen wir bleiben! "In der Cabaña duerft ihr nicht bleiben, sie ist nicht fuer Touristen ausgestattet. Es ist nicht erlaubt. Ich mache aber gerne eine Ausnahme fuer Euch, ich muss ja fast, wer weiss, ob ihr sonst noch wegkommt. Aber es gibt keine Decken und es wird kalt." Wir sind erleichtert. Gegen die Kaelte haben wir unsere Schlafsaecke resp. dicken Jacken. Wieso es denn nicht erlaubt sei, dass Touristen hier bleiben, wollen wir wissen. Die Cabaña sei frueher von der Guerrilla besetzt worden, man duerfe nichts riskieren. Aber eigentlich wisse Hector, der Parkranger, dass nichts geschehen wuerde, wenn wir bleiben, er wohne ja auch schon lange hier. Die Guerrilla zeige sich zwar manchmal, doch es sei ruhig. Wir freuen uns also auf den gemuetlichen Abend am Kaminfeuer und auf das entspannende Bad im heissen Wasser. Wer in einer Gruppe herkommt, muss aufs Bad in den natuerlichen Thermalbaedern verzichten, denn die Pools sind klein, und zu viele Gaeste koennten das empflindliche Oekosystem drum herum beschaedigen, doch da wir nur zu zweit sind, und um diese Zeit keine anderen Touristen mehr kommen werden, kann - schon wieder - fuer uns eine Ausnahme gemacht werden. Schnell ist die Badehose angezogen und das heisse Wasser tut so richtig gut. Ich bin Eva im Paradies. Ueberwindung braucht es dann, um bevor es dunkel wird das waermende Nass wieder zu verlassen. Es windet und ist auf ueber 3200 muM bitterkalt...

Der naechste Morgen erwartet uns mit Regen und Nebel... Kein einziger waermender Sonnenstrahl dringt durch die dicke Wolkendecke hindurch. Oben sei es schoen, erfahren wir von Hector. "Oben" das ist der Sektor Pilimbalá, wo eben auch die Unterkuenfte sind, und von wo der Aufstieg zum Puracé-Vulkan beginnt. Doch es will und will kein Bus oder Pick-Up vorbeikommen, und bei Wind und Regen wollen wir auf keinen Fall mit all unserem Gepaeck zu Fuss gehen... Erst am Mittag dann die ersehnte Mitfahrgelegenheit, fuer die naechsten 15 holprigen Kilometer. Gemaess den Karten aus Bogotá sei die Strasse von La Plata nach Popayan schon lange asphaltiert, erfahren wir unterwegs. Doch staatliche Bauvorhaben sind hier in Lateinamerika leider oft Synonym von Korruption. So blieb auf der Strasse Schotter, auf dem Papier Asphalt. Und wanderte wohl eine beachtliche Summe Geld in die Taschen eines Politikers...

Oben strahlt tatsaechlich der Himmel und es wird sogar ein bisschen warm an der Sonne. Wir erkunden die Umgebung und ein kleiner Junge fuehrt uns durch den Wald um uns die schoensten Orchideen zu zeigen. Den Aufstieg zum Vulkan wollen wir morgen wagen, denn heute schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig zurueck, und so nutzen wir den Nachmittag um uns von vergangenen Strapazen etwas zu erholen und Energie fuer morgen zu sammeln.

Der Aufstieg beginnt frueh am morgen. Alleine mache ich mich auf den Weg, von ca 3400 muM zum Krater auf 4700 muM. Erst durch Weiden und Gaerten, dann auf schlammigen Wanderwegen durch den Páramo, vorbei an den typischen "Frailejones" (Zu Deutsch: Rosettenstauden) und "Granizos de Páramo", immer weiter nach oben, bis die Vegetation ganz verschwindet und die letzten Hoehenmeter zum Krater nur noch von Geroell und Vulkangestein gepraegt sind. Die Aussicht von hier oben waere fantastisch, waere es nicht windig, kalt und neblig, sodass man kaum weit sieht. Der heftige Regen, die Kaelte und Hoehe zehrt an den Kraeften, manch ein Wanderer kehrt um, bevor er den Krater erreicht. Ich bin dankbar fuer meine super Winter- und Regen- High Tech Transa Ausruestung (Werbe-Einschub zu Ende), meine Trekkinghose und Wanderschuhe sind allerdings auch durchnaesst und sobald ich stehen bleibe beginne ich vor Kaelte zu zittern. Ich erinnere mich an Hectors Geschichte, wie er sich verlief und 5 Tage im Nationalpark herumgeirrt sei, und bin froh, dass der Weg zum Krater so gut signalisiert ist. Als ich den Krater endlich erreiche, blaest mich der Wind fast wieder rueckwaerst den Hang herunter. Ein scheuer Blick, das Beweisfoto, schnell trete ich den Rueckweg an. Erschoepft und durchfroren erreiche ich Pilimbalá nach 8 Stunden Wanderung wieder. Mit heissem Agua Panela taue ich etwas auf, und ich freue mich, dass mir Juan Carlos (der hiesige Parkranger) seine heisse Dusche zur Verfuegung stellt, denn in der Billig-Unterkunft fuer Backpackers gibt es nur eiskaltes Wasser...

Tags darauf unternehme ich einen Ausflug zum Kondor-Canyon. Juan Carlos bringt 20 Tage altes, moderndes, stinkendes Fleisch mit, um die Tiere anzulocken. Ein Spektakel sondergleichen ist es, die majestaetischen Anden-Voegel dann aus naechster Naehe zu beobachten, erst beim Anflug, dann dem Fressen und dabei, wie sie die neben ihnen klein wirkenden Aasgeier zu vertreiben versuchen. Nur noch zwei der vom Aussterben bedrohten Tiere leben hier. Neben den zwei Kondoren sehen wir beim nahegelegenen Parkplaetz die Reste zweier ausgebrannter Autos. "Die Guerrilla hat sie verbrannt. Die Transportunternehmen haben die obligatorische "Lokalsteuer" (sog. "Vacuna" / "Spritze") nicht bezahlt"...

Montag, 1. Juni 2009

Samba der kleine Ameisenbaer (Iquitos, Peru)

"Geht einfach direkt zum Hafen, da steht sie schon, die Eduado III.", erklaert man uns im Buero der Transportgesellschaft, nachdem man uns nur etwa eine halbe Stunde hat warten lassen. Schnell schwingen wir unser Gepaeck und uns in ein Moto-Taxi und brausen zum Hafen. Das grosse Schild am Schiff kuendet die Abfahrt fuer 5 Uhr nachmittags an. Schnell ist die Haengematte im untersten Deck - der billigsten Klasse - aufgehaengt, nur um sie kurz spaeter umzuplatzieren. Wollen wir lieber weg von dem Motor, dafuer gleich neben der Bar schlafen? Oder irgendwo in der Mitte, wo dafuer laute Musik aus den Lautsprechern plaerrt und daneben im Fernseher - ebenfalls laut aufgedreht - irgendwelche Telenovelas gezeigt werden? Schnell wird uns klar, dass es einen wirklich ruhigen Platz hier wohl nicht gibt. Wir entscheiden uns fuer ganz weit vorne, direkt neben der Bar, dafuer so hoffen wir, kriegen wir da etwas Fahrtwind ab, in den heissen tropischen Naechten. Und unser Gepaeck koennen wir praktisch an einen Pfosten direkt neben dem Schlafplatz ketten.

Doch die erste Nacht verbringen wir noch im Hafen. Nichts von wegen Puenktlichkeit. "Heute geht es nicht mehr los, morgen fruehestens am Mittag", heisst es. Aber genau weiss man es nicht. Immer steigen mehr Passagiere dazu. Unser erst noch grosser Freiraum um in der Haengematte zu schaukeln verschwindet schnell, in Abstaenden von einem halben Meter haengen bald dutzende bunte Haengematten in einer Reihe.

Mit Ohropax und Tuch auf den Augen ist die Nacht eigentlich ganz gut zu ueberstehen, bis frueh morgens grosse Aufbruchstimmung herrscht. "Die Pachito faehrt heute los, noch vor dem Mittag!", so geht es von Mund zu Mund, alle Passagiere packen schnell ihr Hab und Gut zusammen um direkt von der Eduardo III in die daneben liegende Pachito zu springen. Bei uns geht verschlafen alles noch nicht so schnell, und als wir rueberklettern wollen, ist die Pachito bereits losgefahren! "Kein Problem", ruft man uns noch vom anderen Schiff zu, "wir wechseln nur den Hafen!" Und so schleppen wir unser Gepaeck von einem Hafen zum anderen. Von neuem geht die Suche nach dem perfekten Haengemattenplatz los. Diesmal entscheiden wir uns fuer das Oberdeck, der Preis ist der gleiche, und tatsaechlich bleibt uns waehrend der ganzen Reise sogar genug Platz um weit in der Haengematte hin und her zu schaukeln!

Alles waere perfekt, wuerden wir nicht um 2 Uhr nachmittags von anderen Passagieren erfahren, dass die Eduardo nun doch schon bereits losgefahren sei, und wir liegen noch immer im Hafen und warten auf die Fracht, welche anscheinend wegen den Strassenblockaden verspaetet sei. Langsam wird klar, dass wir wohl noch eine Nacht im Hafen verbringen werden muessen. Immerhin bekommen wir auf Druck aller Passagiere ein Abendessen und das Fruehstueck tags darauf gestellt. Das Bordessen erweist sich, im Gegensatz zu meinen Erfahrungen auf dem Frachtschiff in Bolivien, nicht als kulinarischer Hoehenflug. Eine einfache Suppe zum Abendessen, Haferschleim zum Fruehstueck - doch satt macht es, und wir hatten vorsorglich ein paar Fruechte und Kekse eingekauft.
Langweilig wird die Wartezeit eigentlich nicht. Wir spielen Karten, relaxen in der Haengematte und... kaufen kurzerhand einen kleinen Ameisenbaeren als Haus- resp. Bordtier.

Nein, wir sind nicht so durchgeknallt, wie das vielleicht klingen mag. Das Tier ist naemlich schon an Bord. "Wir haben ihn soeben auf dem Markt gekauft, aber der Kleine nervt ganz schoen", meint die Besitzerin, welche sich wahrscheinlich gedacht hat, ein Ameisenbaer sei doch eigentlich eine exotische Alternative zur Hauskatze oder einem kleinen Hund. Was fuer ein Tier es genau ist, weiss sie zwar nicht, jedenfalls nicht, dass ein Ameisenbaer Ameisen und Termiten frisst, oder dass der jetzt noch kleine Knirps, spaeter ein ganz grosser wird. "Schau, er frisst Banane und trinkt Coca Cola"... Mir wird fast schlecht! Dass der zahnlose Ameisenbaer nicht faehig ist, etwas anderes als Termiten und Ameisen zu fressen wissen sie nicht. Ich stelle mir auch vor, wie die Tierhaendler seine Mutter sicherlich getoetet haben, denn die Erklaerung, man haette ihn alleine irgendwo im Dschungel gefunden toent nicht sehr ueberzeugend...
Die Familie ist allerdings von dem erst niedlich erscheinenden Tierchen bereits sehr genervt. Es liegt in der Natur eines Ameisenbaeren, auf Baeume zu klettern und Termiten zu suchen. Fehlen die Baeume, dient halt alles andere als Alternative, der Kleine klammert sich an Beine und Hosen fest, klettert geschickt soweit hoch wie moeglich und steckt unterwegs seine lange, duenne Zunge in jede erdenkliche Koerperoeffnung auf der Suche nach Nahrung. Im Ohr ist das nicht sehr angenehm, auch nicht unter dem Arm, wo es kitzelt... So wundert es kaum, dass die Familie das Tier loswerden will. Wir befuerchten schon, sie wuerden es bald ueber Bord werfen, und so beschliessen wir kurzerhand, das Tier zu kaufen, in der Hoffnung, in Iquitos einen geeigneten Platz in einer Tierauffangsstation zu finden. 20 Soles, etwa 7 Franken.

Jeder Stopp in den kleinen Doerfern unterwegs wird ausgenutzt, um Samba, so taufen wir das Baerchen, spazieren zu fuehren. Er wirkt zwar noch etwas ungeschickt, und will nicht richtig fressen, nicht einmal, wenn wir ihn direkt auf den Ameisenhaufen setzen... Doch zum Glueck sind wir im Dschungel, und entdecken bald sogar ein Termitennest, das ihn erst so richtig gluecklich macht. Mit einem Stock schlagen wir es vom Baum und nehmen es gleich mit an Bord, damit der Kleine die dreitaegige Fahrt auch sicher uebersteht...

In Iquitos bringen wir Samba gleich ins Pilpintuwasi Amazon Animal Orphanage
Der Abschied von dem kleinen Biest tut schlussendlich fast ein bisschen weh. Doch wir sind froh, einen wirklich schoenen Platz fuer unser Adoptiv-Ameisenbaerchen gefunden zu haben und sind sicher, dass er hier gross und stark werden wird! ;)