Freitag, 27. Februar 2009

Wenn Baeren mit Gringas tanzen (Oruro, Bolivien)

Der Karneval von Oruro ist der zweitgrösste von Südamerika, der grösste in den Anden. Hier tanzen sich jedes Jahr um die 30´000 Tänzerinnen und Tänzer in Verehrung für die Jungfrau des Bergwerksstollens in Ekstase, einige wortwörtlich bis zum Umkippen. Schon frueh morgens geht es los, das Spektakel in Oruro. Puenktlich um 8 Uhr früh starten die ersten Truppen den 8 Kilometer langen Tanzmarathon bis zur Bergwerkskirche „Socavon“, wo sie dann nach acht bis zehn Stunden Tanz erschoepft vor der Jungfrau auf die Knie fallen und beten werden. Der Karneval von Oruro ist wohl die eindruecklichste und farbenfroheste religioese Feier überhaupt.

Abwechslungsreich geht es hier zu und her.

Da kommt eine Truppe Morenadas. Eigentlich eine traurige Geschichte. Sie erzählt das tragische Schicksal der schwarzen Sklaven, die in Oruro in den Minen arbeiten mussten. Die prächtigen Kostüme der Männer, welche die Aufseher mit schweren Peitschen und weissen Glatzen darstellen, stehen im Gegensatz zu den Masken, welche die Sklaven in völliger Erschöpfung mit aufgerissenen Augen zeigen.
Frueher galt bei den Morenadas ein absolutes Verbot für Frauen. Heute jedoch stehlen die hübschen Mädchen, die elegant vor dem Rest der Truppe herstolzieren, den dahinter in schweren Kostümen bepanzerten Männern die Show. Was allerdings die knapp bekleideten Tänzerinnen mit der Sklavengeschichte zu tun haben, bleibt mir ein Rätsel...

Da sind auch die Tinkus, die in ihren expressiven Choreographien den traditionellen Faustkampf nachahmen. Noch in den 80-Jahren sollen die Tinku-Tänzer auch am Karneval von Oruro richtig untereinander gekämpft haben. Damit Blut fliesst, das will die Pachamama schliesslich so, ein Opfer für Mutter Erde. Noch früher musste gar jemand sterben, damit der Karneval ein guter Karneval war, und vor allem, damit nächstes Jahr die Pachamama den Menschen gut gestimmt war und für eine ausgiebige Ernte sorgt. Heute scheint Pachamama nicht mehr so anspruchsvoll zu sein. Doch auch heute noch wird der echte Tinku an vielen Orten in Bolivien praktiziert. Und auch die heutigen Tinkus in Oruro gelangen sich ab und zu spielerisch in die Haare und manch einer endet auf dem Boden. Der Alkohol tut seine Wirkung dazu. Eingreifen darf niemand, ist aber heute auch nicht nötig...

Und natürlich die Teufelstänzer. Ihre Kostüme und Masken sind wohl die farbenprächtigsten überhaupt. Die berühmte Diablada, der Tanz zu Ehren des Tios, des Teufels, des Minengottes... In knallbunten Kostümen und riesigen Teufelsmasken mit langen gekrümmten Hörnern rennt die Teufelshorde zu kräftigen Rhythmen dem Erzengel Gabriel hinterher. Kampf zwischen Gut und Böse. Doch es tanzen auch Kondore und knuffige, weisse Anden-Bären mit, meine absoluten Lieblinge des Karnevals.

Doch das ist noch lange nicht alles: Da sind die ausdrucksvollen "Negritos" - Afrobolivianer (oder schwarz geschminkte Imitationen)- dank deren Kostümen mit Ketten resp. Peitschen die Sklaverei nicht in Vergessenheit gerät; die wild und hoch in die Luft springenden Tobas, die mit Tierfellen bekleidet, ihren Feder-Mähnen auf dem Kopf und den Pfeilen in den Händen an die Indianer im Dschungel erinnern; die Llameradas, deren Taenzerinnen alle ein kleines weisses Plüsch-Lama auf dem Arm sanft zur Musik wiegen; die Caporales, die mit ihren kraftvollen Choreographien und grossen Truppen zu den Lieblingen des Publikums gehören...

Doch Karneval in Oruro ist mehr als nur eine Show. Wer Oruro besucht, lebt den Karneval. Das Publikum in den Tribünen tanzt auf den Sitzen mit und vergnügt sich mit Bier und Wasser. Zweiteres, um sich regelrechte Wasserschlachten zu liefern. Verkäufer von Wasserballons - meist Kinder - sorgen für den nötigen Nachschub und klettern sogar die wackeligen Holzleitern bis zuhinterst hoch, damit wir die Schlacht mit den Zuschauern auf der gegenüberliegenden Tribüne nicht verlieren...

Als Zuschauer ist man aber auch willkommen, sich in die Comparsas, die Tanztruppen, einzureihen. Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen, und hüpfe bald mit den Tobas um die Wette. Von der Morenada „Zona Norte“ aus Oruro, einer der ältesten Comparsas, werde ich gar eingeladen, nächstes Jahr mitzumachen. Doch bald verleidet mir die Morenada, und ich finde mich wieder mit zwei Maracas (Rasseln) in den Händen eine Band unterstützend, umarme dann einen der flauschigen Anden-Bären der Diablada und tapse mit ihm bärig durch die Gegend, um danach mit einer afrobolivianischen Truppe zu tropischen Rhythmen mehr oder weniger Salsa zu tanzen...

Ein unvergessliches Erlebnis. Einfach HAMMER. WOW!!!

Carnaval de Oruro