Donnerstag, 26. März 2009

Piranha zum Fruehstueck (Trinidad, Bolivien)

“Mein” Schiff ist keiner der bunt bemalten Holzkutter, wie man sich ein Amazonasschiff vorstellt, und wie ich sie im Hafen von Puerto Villarroel gesehen habe. Es traegt auch keinen der romantisch klingenden Namen, wie Ulises, Lolita oder Gaviota – Moewe... Nein, “mein” Schiff ist grau, aus Metall und nennt sich TNR-09. Und so wie das klingt ist es auch: militaerisch! Eine Kriegsmarine ohne Meer beschaeftigt sich unter anderem damit, abgelegene Regionen des Landes mit Diesel und Benzin zu versorgen. Und so schieben wir einen grossen Oeltank vor uns her, eine weitere Plattform im Schlepptau, auf dem Weg von Puerto Villarroel nach Trinidad. 570’000 Liter Benzin und Diesel.

Tage zuvor: In den Dorfkneipen ersetzt laute brasilianische Forró-Musik die sonst fuer diese Region typische Cumbia-Villera. Das Dorf scheint dem im mehr als 1’300 KM und mindestens 10 Tage Flussfahrt entfernten Brasilien naeher gelegen zu sein als Cochabamba, woher ich in knapp 5 Stunden soeben angereist bin. Der Fluss verbindet.

“Uuh, du hast Pech. Gerade heute morgen ist ein Schiff los. Es kann dauern, bis das naechste faehrt”, ist die erste Auskunft, die ich im Hafen von Pto Villarroel von einem der Matrosen erhalte. Wann das Naechste fahre wisse noch keiner. Vielleicht am Dienstag, eher wohl erst am Mittwoch. Ich mache mich auf eine lange Wartezeit gefasst und checke ein in einem der einfachen Hotels des Hafens. Ich geniesse die letzten Sonnenstrahlen, welche das gegenueberliegende Ufer in ein schoenes orangenes Licht tauchen.
Tags darauf bei der Capitania: “Das naechste Boot faehrt am Dienstag, es ist ein Militaerschiff. Die Navy darf eigentlich keine Passagiere mitnehmen. Aber Du kannst ja mal den Kommandanten fragen.”
Und natuerlich darf ich mit!
Doch los geht es schlussendlich erst am Mittwoch. Immer wieder wird die Abfahrtszeit um einige Stunden nach hinten verschoben. Und so verbringe ich den ganzen Tag damit im Hotel mit den Besitzern Telenovela zu schauen: “Sin tetas no hay paraíso” – “Ohne Titten gibt es kein Paradies”. Die Geschichte einer jungen Kolumbianerin die sich ihre Brueste vergroessern lassen will, sich dafuer prostituiert und schlussendlich in die Haende eines Drogenschmugglers geraet, der ihr Kokain statt Silikon implantiert. Die Geschichte war so erfolgreich, dass die kolumbianische Produktion eins zu eins von den Mexikanern kopiert wurde und jetzt unter dem Namen “Sin senos no hay paraíso” (Ohne Brueste gibt es kein Paradies) ausgestrahlt wird…

Als alleinreisende Gringita hat man in Lateinamerika gewisse Privilegien. So stellt mir Kommandant Richard gleich seine Kabine zur Verfuegung. Er selber schlaeft dafuer auf meiner Camping Matte auf dem Boden. Spaeter zusteigende Passagiere muessen es sich auf den Benzintanks bequem machen, auf mitgebrachten Matratzen, und unter improvisierten Konstruktionen aus Plastikplachen und Moskitonetzen.

Die Schifffahrt ist wunderschoen. Durch ueppigen Dschungel geht es, vorbei an einfachen Siedlungen der Einheimischen. Ich mache es mir in meiner Haengematte bequem und lasse die Schoenheit der Natur an mir vorbeiziehen. Immer wieder gibt es Neues zu entdecken. Mal begleitet un seine Familie Flussschildkroeten, dann turnen in den Baumkronen ein paar Affen herum, liegt ein Krokodil mit weit offenem Mund am Ufer oder ein Paar roter Aras ueberfliegt den Fluss. Immer wieder sehen wir auch die Stars dieser Reise: die rosaroten Suesswasserdelfine. Meist sieht man sie nur kurz auftauchen, um Sekundenbruchteile spaeter auf Nimmerwiedersehen wieder im braunen Flusswasser zu verschwinden. Manchmal schwimmen sie aber auch eine Weile vor oder neben dem Schiff her, bis sie sich dann mit einem besonders hohen Sprung aus dem Wasser wieder verabschieden. Manch einer streckt seinen Schnabel aus dem Wasser, auf den sich dann Voegel stuerzen. Es sieht so aus, als ob der Delfin die Voegel fuettern wuerde…

Das Bordthermometer zeigt durchschnittlich 37.5 Grad an. Es ist heiss und feucht, und nichts wuensche ich mir mehr, als einen Sprung ins Wasser. Natuerlich ein voelliger Bloedsinn, die Stroemung ist schliesslich stark und das Schiff viel zu schnell. Doch Kommandant Richard kennt die Loesung, ruestet mich mit Schwimmweste aus und knotet mich einfach an einem der dicken Taue fest und so werde ich hinter dem Schiff hergezogen. Eine herrliche Erfrischung und super Massage! Kurz darauf faellt ihm ein, dass das ganze vielleicht doch etwas riskant sei und zieht mich zurueck. Im Beiboot entfernen wir uns etwas von der TNR-09, und hier darf ich wieder ins Wasser. Auch hier jedoch nur mit Schwimmweste und festgeknotet. Als dann nur etwa 15 Meter entfernt ein paar Flussdelfine auftauchen, erklaere ich mich zur gluecklichsten Person auf Erden! Zum Glueck erfahre ich erst im Nachhinein, dass der Strick fuer den Fall gedacht war, dass ich von einer Sicuri – so wird hier zu Lande die Anaconda genannt – gefasst wuerde…

Eines Tages liegt ein herber Geruch in der Luft, nach modriger Erde und verbranntem Knoblauch. “Es heisst, dass eine Sicuri in der Naehe ist”, weiss Alex, ein Mitreisender. Tatsaechlich kommt Minuten spaeter aufgeregt Limachi – ein Mitglied der Crew – angerannt: "Habt ihr die Sicuri gesehen?" Doch wir schauen zu spaet in die richtige Richtung. Bereits ist sie weggetaucht.

Manchmal naehern sich uns Einheimische in Einbaumkanus, legen an die Plattformen an und bieten uns entweder Fisch, Fruechte oder pure Schokolade ohne Milch oder Zucker zum Kauf oder im Tausch gegen Benzin an… Die erstandenen Piranhas gibt es dann tags darauf zum Fruehstueck...

Dann die kitschigen Sonnenuntergaenge, welche ich jeweils vom Dach des Steuerhauschens auf der Kommandobruecke geniesse, und die sternklaren Naechte…
Eine unvergessliche Reise!

Mamore