Mittwoch, 15. Juli 2009
Im Land der aufgehenden Sonne (Nabusimake, Kolumbien)
Der Name klingt angenehm in meinen Ohren, er hat etwas magisches an sich, natuerlich will ich da hin.
Ich starte ab Valledupar nach Pueblo Bello, dem huebschen Dorf, dem letzten Dorf “Zivilisation”, bevor wir von hier auf Kolumbiens wohl schlechtester Strasse langsam aber stetig im Jeep in die Berge der Sierra Nevada de Santa Marta hoch kriechen. Die von der Sonne ausgetrocknete und von der Erosion aufgespaltene erdige Piste gleicht vielerorts denn auch eher einem Miniaturmodell des Grand Canyons, als dem, was man als Strasse bezeichnen wuerde. Ohne 4x4 waere ein Durchkommen nicht denkbar. Je hoeher wir kommen, umso karger wird die Vegetation, die trotz der erbarmungslosen Sonne aber erstaunlich gruen blueht. Doch immer wieder zeugen auch braune, ausgetrocknete, tote Farne am Wegesrand von der Kraft der erbarmungslos herunterbrennenden Sonne.
Nach zwei Stunden holpriger Fahrt erreiche ich Nabusimake. Fuer “Bonaches” (Gringos) gibt es im Dorf selber keine Unterkuenfte. Dazu ist der Ort der ansaessigen Arhauco Gemeinde zu heilig. Doch wenige Minuten Fussmarsch vom Dorf entfernt finden ich bei Doña Inés Quinto ein Plaetzchen.
Hier oben hoert man nur das Rauschen des Windes in den Baumen, das Plaetschern des Flusses und das Zwitschern der Voegel. Ich atme tief durch und geniesse die frische Luft. Ich liebe den Ort, bevor ich ihn eigentlich kenne.
Das Dorf, idyllisch eingebettet auf einer grossen Wiese und umgeben von den gruenen Bergen der Sierra Nevada , erinnert mich spontan an das kleine Gallierdorf von Asterix und Obelix. Umgeben von einer Stadtmauer aus aufgeschichteten Steinen liegen friedlich ein paar Dutzend kleine weisse runde, rechteckige oder quadratische Haeuschen mit dicken, z.T. mit Moosen bewachsenen Strohdaechern. Ich kann mir Troubadix wunderbar im Eucalyptusbaum vorstellen, Idefix ist auch da, allerdings in schwarz, und sogar die behaarten schwarzen Schweine auf der Weide gleichen eher einem Wild- als einem Hausschwein. Nur die Hinkelsteine fehlen.
Doch statt Asterix und Obelix begegnen mir in Nabusimake die Arhuaco Indígenas. Die Frauen tragen weisse bis ueber die Knie reichende Kleider. Als Gurt um die Taille dient ein dickes Band aus Wollfaeden. Die Aermel sind oft verziert mit farbigen Bordueren. Am meisten sticht jedoch ihr Halsschmuck ins Auge. Zahlreichen Ketten aus kleinen Plastikperlen, entweder bunt gemischt oder In einem Farbton gehalten. Kinder werden in Tuecher eingewickelt auf dem Ruecken in einer Art Tasche getragen, die mit einem breiten Band ueber den Kopf der Frau haengt. Alle Frauen scheinen ununterbrochen damit beschaeftigt zu sein Taschen zu stricken, oder Wolle dafuer zu spinnen, egal ob sie durchs Dorf spazieren, oder mit jemandem sprechen. Immer ist die Wolle dabei, die Nadel und stetig wird gestrickt. Ana Luisa, ein Arhauco Teenager Maedchen, bestaetigt dies: “Unsere Kultur ist es, nie mit Arbeiten aufzuhoeren. Wenn wir nicht auf dem Feld oder im Haus beschaefigt sind, machen wir Taschen. Die Arbeit dauert manchmal mehr als ein Monat, bis wir damit fertig werden. Traditionell verschenken wir sie dann an die Maenner, die uns gefallen, aber heutzutage verkaufen es viele auch.”
Eigentlich wuerde ich mir gerne hier eine Tasche kaufen. Doch niemand bietet sie zum Kauf an. Egal wen man fragt, die Tasche ist noch nicht zu Ende, oder man hat ja gerade erst angefangen. Ein Zeichen wohl, dass noch nicht viele Touristen vorbeigekommen sind, und sich danach erkundigt haben. Ich stelle mir das Dorf in ein paar Jahren vor. Ob dann wohl viele der Hauser als Souvenirshops dienen werden, wo Kunsthandwerk angeboten wird? Ob Touristen bald an jeder Ecke angesprochen werden, von den heute zurueckhaltenden Indígenas, ob sie nicht eine Tasche kaufen wollen? Da ich hoffe, dass der Ort immer so bleiben wird, ist es mir bei dieser Vorstellung bald egal, dass ich die Tasche wohl bei einem Haendler in Valledupar erstehen werden muss und bin froh, den Ort noch ganz alleine und vom Tourismus unverdorben geniessen zu duerfen.
Die Maenner sind dementsprechend mit vielen Taschen behangen. Mindestens zwei: eine grosse, fuer was man halt dabei haben muss, und eine kleine, fuer Kokablaetter und den sog. “Poporo”, ein Gefaess, das fuer sie so unentbehrbar scheint, wie fuer die Frauen Wolle und Nadel. “Der Poporo ist ein Maennlichkeitssymbol”, erfahre ich. Ganz klar auch ein Phallussymbol: Er ist gefertigt aus einem Kuerbis und einem darin steckenden Holzstab, der dazu dient, kleine Muscheln im Kuerbis zu einem weissen Pulver zu mahlen. Vom Stab wird das Pulver dann abgeleckt, es dient als Verstaerker der Alkaloide der Kokablaetter, die ununterbrochen gekaut werden. Haufig sind die Lippen der Maenner gelb-gruen gefaerbt von dem Brei, denn anscheinend werden im Gegensatz zu Bolivien die Blaetter richtig zerkaut. Als Begruessung zwischen Maennern wird oft kein Wort gewechselt, dafuer werden stillschweigend Kokablaetter aus den kleinen Taschen ausgetauscht.
Um die langen, schwarzen, gepflegten Haare, welche die Maenner offen tragen, werden sie wohl von vielen europaischen Touristinnen beneidet. Als Hut tragen sie eine sog. “Tutusoma”, eine Art Helm der aus den Fasern einer Agave gefertig wird und der wie ein umgedrehter Blumentopf auf ihrem Kopf trohnt und so die schneebedeckten weissen Spitzen der Berge der Sierra Nevada de Santa Marta symbolisieren. Auch die Kleidung der Maenner ist weiss. Der Poncho der ueber dem nackten Orberkoerper und einer Stoffhose getragen wird, reicht bis zu den Knien und ist mit einem breiten weissen Stoffband als Gurt fixiert. Mir faellt zudem auf, dass viele Maenner eine moderne, silbern oder golden glaenzende Armbanduhr tragen, und ich frage mich wozu…
Ganz ohne Tasche scheint kein Arhuaco nicht aus dem Haus zu gehen. Selbst Kinder tragen eine mit, und wenn man sie danach fragt, was sie denn dabei haetten, bekommt man oft eine leere Tasche praesentiert, oder sie tragen leere Plastiktueten herum. Wohl ihren Abfall, denn das Dorf ist erstaunlich sauber. Im Gegensatz zu den sog. “zivilisierten” Staedten liegt kaum Muell herum!
Als ich das Dorf zum ersten Mal durchquere fuehle ich mich als Eindringling in ihre Welt. Doch als ich mich einfach mal eine Weile hinsetze, frage ich mich bald, ob ich die Beobachtende oder die Beobachtete bin… Immer wieder naehern sich mir schuechterne Frauen, fragen mich, woher ich komme. Etwas Smalltalk, bevor sie sich wieder verabschieden. Und: nein, stoeren wuerde ich keinesfalls. Sie wuerden sich freuen, dass Touristen sehen, wie sie leben. Fast auch etwas stolz: “Viele Fremde sagen uns, dass es ihnen hier gefaellt. Dass unser Dorf etwas Spezielles sei.” Und das ist es wirklich! Ob ich hier an einem speziellen Ort entspanne, fragt auch ein vorbeigehender Arhuaco, der wohl nur zu Besuch hier ist, denn er traegt die Haare kurz und ist westlich gekleidet, doch sein Poporo identifiziert ihn klar als Indígena. Ich entgegne: “Ja, ich tanke meine Batterien mit Energie auf”. Er freut sich. Ich haette dies schoen gesagt, besser als er es formulieren koennte.
Besonders auch die Kinder sind neugierig. Da ich allerdings kein Arhauco spreche, und die Kleinen unter ihnen kein Spanisch verstehen, ist es schwierig, sich ihnen anzunaehern. Ich wende die Taktik vom kleinen Prinzen an, um einen der kleinen Jungen “vertraut zu machen”, so wie eben der kleine Prinz den Fuchs “gezaehmt” hat: "Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so verstohlen, so aus dem Augenwinkel anschauen, und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse. Aber jeden Tag wirst du dich ein bisschen näher setzen können ..." Und jedes Laecheln des Jungen sagt mehr als tausend Worte. Bald kommt er naeher, haelt mir seine Spielsachen (einen Ast, oder einen Deckel einer Pet-Flasche) hin, um dann schnell hinter der naechsten Hausecke zu verschwinden. Er winkt mich zu sich, doch wenn ich ankomme wo er war, ist er bereits spurlos verschwunden. Ob er Verstecken spielen will? Meist hockt er grinsend bereits ausserhalb der Stadtmauer, und rennt weg, wenn ich naeher komme… Dann kommt er irgendwann wieder zurueck, Brennholz im Schlepptau, und im Vorbeigehen labert er mich in Arhuaco voll. Ob er sich lustig ueber mich macht? Mir seine Arbeit kommentiert? Mich auffordert ihm zu helfen? … ich habe keinen blassen Schimmer, und laechle eben auch nur etwas dumm zurueck und zucke die Schultern…
Erst in der Schule lernen die Kinder richtig Spanisch. Der Unterricht ist allerdings auch in Arhuaco, die Lehrer sind von hier, und lehren die Kinder was ein Arhuaco wissen muss, etwa wie man Gemuese anpflanzt. Davon zeugt der grosse Garten der Schule. Es ist schoen zu sehen, dass das indigene Volk relativ autonom regiert und lebt. Ich muss an die Yuracaré Kinder in Bolivien denken, die in der Schule Quechua lernen muessen, und gleichzeitig ihre eigene Sprache, das Yuracaré, verlieren… Schoen auch die Schule: hier lebten einst die missionierenden Kapuziner, die jedoch schnell von den Arhuacos vertrieben wurden. Heute dienen die Gebaude als Schule und Gesundheitsposten. Dass die Kapuziner ihre Arbeit nicht ganz beendet haben, bezeugt ein Blick durch die Spalten in der Tuere der Dorfkirche: ein Lagerraum mit leeren Gestellen, darauf eine einsame Taschenlampe, ein Geraet zum Verspruehen von Insektiziden, ein paar Haufen Stroh, ein kaputter Stuhl…
Ich verlasse den magischen Ort Nabusimake mit viel Freude im Herzen und voller Energie. Da kein Jeep mehr ins Tal faehrt mache ich mich zu Fuss auf den Weg durch die bruetende Hitze...
Samstag, 20. Juni 2009
Im Puracé-Nationalpark (Puracé, Kolumbien)
Der naechste Morgen erwartet uns mit Regen und Nebel... Kein einziger waermender Sonnenstrahl dringt durch die dicke Wolkendecke hindurch. Oben sei es schoen, erfahren wir von Hector. "Oben" das ist der Sektor Pilimbalá, wo eben auch die Unterkuenfte sind, und von wo der Aufstieg zum Puracé-Vulkan beginnt. Doch es will und will kein Bus oder Pick-Up vorbeikommen, und bei Wind und Regen wollen wir auf keinen Fall mit all unserem Gepaeck zu Fuss gehen... Erst am Mittag dann die ersehnte Mitfahrgelegenheit, fuer die naechsten 15 holprigen Kilometer. Gemaess den Karten aus Bogotá sei die Strasse von La Plata nach Popayan schon lange asphaltiert, erfahren wir unterwegs. Doch staatliche Bauvorhaben sind hier in Lateinamerika leider oft Synonym von Korruption. So blieb auf der Strasse Schotter, auf dem Papier Asphalt. Und wanderte wohl eine beachtliche Summe Geld in die Taschen eines Politikers...
Oben strahlt tatsaechlich der Himmel und es wird sogar ein bisschen warm an der Sonne. Wir erkunden die Umgebung und ein kleiner Junge fuehrt uns durch den Wald um uns die schoensten Orchideen zu zeigen. Den Aufstieg zum Vulkan wollen wir morgen wagen, denn heute schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig zurueck, und so nutzen wir den Nachmittag um uns von vergangenen Strapazen etwas zu erholen und Energie fuer morgen zu sammeln.
Der Aufstieg beginnt frueh am morgen. Alleine mache ich mich auf den Weg, von ca 3400 muM zum Krater auf 4700 muM. Erst durch Weiden und Gaerten, dann auf schlammigen Wanderwegen durch den Páramo, vorbei an den typischen "Frailejones" (Zu Deutsch: Rosettenstauden) und "Granizos de Páramo", immer weiter nach oben, bis die Vegetation ganz verschwindet und die letzten Hoehenmeter zum Krater nur noch von Geroell und Vulkangestein gepraegt sind. Die Aussicht von hier oben waere fantastisch, waere es nicht windig, kalt und neblig, sodass man kaum weit sieht. Der heftige Regen, die Kaelte und Hoehe zehrt an den Kraeften, manch ein Wanderer kehrt um, bevor er den Krater erreicht. Ich bin dankbar fuer meine super Winter- und Regen- High Tech Transa Ausruestung (Werbe-Einschub zu Ende), meine Trekkinghose und Wanderschuhe sind allerdings auch durchnaesst und sobald ich stehen bleibe beginne ich vor Kaelte zu zittern. Ich erinnere mich an Hectors Geschichte, wie er sich verlief und 5 Tage im Nationalpark herumgeirrt sei, und bin froh, dass der Weg zum Krater so gut signalisiert ist. Als ich den Krater endlich erreiche, blaest mich der Wind fast wieder rueckwaerst den Hang herunter. Ein scheuer Blick, das Beweisfoto, schnell trete ich den Rueckweg an. Erschoepft und durchfroren erreiche ich Pilimbalá nach 8 Stunden Wanderung wieder. Mit heissem Agua Panela taue ich etwas auf, und ich freue mich, dass mir Juan Carlos (der hiesige Parkranger) seine heisse Dusche zur Verfuegung stellt, denn in der Billig-Unterkunft fuer Backpackers gibt es nur eiskaltes Wasser...
Tags darauf unternehme ich einen Ausflug zum Kondor-Canyon. Juan Carlos bringt 20 Tage altes, moderndes, stinkendes Fleisch mit, um die Tiere anzulocken. Ein Spektakel sondergleichen ist es, die majestaetischen Anden-Voegel dann aus naechster Naehe zu beobachten, erst beim Anflug, dann dem Fressen und dabei, wie sie die neben ihnen klein wirkenden Aasgeier zu vertreiben versuchen. Nur noch zwei der vom Aussterben bedrohten Tiere leben hier. Neben den zwei Kondoren sehen wir beim nahegelegenen Parkplaetz die Reste zweier ausgebrannter Autos. "Die Guerrilla hat sie verbrannt. Die Transportunternehmen haben die obligatorische "Lokalsteuer" (sog. "Vacuna" / "Spritze") nicht bezahlt"...
Sonntag, 15. Juli 2007
Schokolade, Schwein und Strand (Santa Marta, Colombia)
Die Schweiz aehnlich wie Kolumbien? Also ich weiss ja nicht... Stellt Euch vor, ihr esst statt Popcorn "Hormigas Culonas" (etwa: Grossarsch-Ameisen *g* - schmecken uebrigens - wie koennte es anders sein- nach Kaese... ) Oder stellt Euch z.B. mal vor, ihr geht zum Bahnschalter der SBB und verhandelt um den Fahrpreis. Bei den Bussen hier wird meistens ein Rabatt gewaehrt, denn schliesslich faehrt der Bus ja schon fast los, oder ihr wisst, dass die Konkurrenz etwas guenstiger faehrt, oder weil der Bus im Gegensatz keine Klimaanlage hat, oder ganz einfach weil ihr findet es sei zu teuer...
Wie bereits geschildert, sind die Busse hier die Koenige der Strasse. Bedenkt man zudem, dass hier in Lateinamerika die Kuehe, Ziegen, Schafe, Huehner, Schweine etc. nicht nur auf eingezaeumten Wiesen weiden, sondern sich auch gerne direkt am Strassenrand (oder auf der Strasse) tummeln, erstaunt es kaum, dass es ab und zu auch zu Unfaellen kommt...
Ich sitze also im Bus von Cartagena nach Santa Marta (fuer den ich natuerlich einen Rabatt gekriegt habe) und ein armes Schwein (im wahrsten Sinne des Wortes) kommt unter unsere Raeder. Erst merke ich gar nicht, was los ist, als der Busbegleiter aussteigt und der Fahrer den Rueckwaertsgang einlegt. Was dann passiert kommt mir sehr suspekt vor... Fahrer und Busbegleiter hieven das tote, blutende Vieh einfach ins Gepaeckfach des Busses. Waehrend der folgenden, etwa zweistuendigen Fahrt nach Barranquilla stelle ich mir vor, wie es im Gepaeckfach langsam nach Tod riechen muss und wie das Blut des Tierchens alles Gepaeck (auch mein Rucksack!!) verklebt... Immer wieder halten wir in den Doerfern an, das Schwein wird ausgeladen, weggetragen um kurz darauf dann wieder im Gepaeckfach verstaut zu werden. Es scheint sich einfach kein Abnehmer fuer die tote Sau zu finden...




Dienstag, 10. Juli 2007
Bienvenido al Caribe! (Cartagena, Colombia)
Kaum nahe des Zentrums von Cartagena aus dem Stadtbus ausgestiegen, naehert sich mir ein junger Mann. Er versucht mir meinen kleinen Rucksack zu entreissen. Da ich diesen jedoch am grossen angebunden habe und festklammere scheitert sein Versuch. Da ich im Bus eben noch Musik hoeren wollte (die jedoch von der lauten Vallenato Musik im Bus selber uebertont wurde) haengt immer noch mein MP3-Player um meinen Hals, zwischen meinem Bauch und dem kleinen Rucksack. Da er den Rucksack nicht kriegen kann, wird logischerweise der Player zum Ziel des Räubers. Ich versuche mich zu wehren, doch viel zu schnell laeuft er weg mit meinem MP3... Tja, Pech gehabt, denke ich schon... „Por dar papaya!“ – wie man in Kolumbien zu sagen pflegt - selber dumm, den Player nicht im Rucksack zu tragen!
„Hijuepuuuta, Ladrón, Malcriaaado, Policíiiia, Hijuepuuuta...“ schreie ich, waehrend ich versuche dem Typen hinterher zu rennen – wobei ich natuerlich beladen mit grossem und kleinem Rucksack jaemmerlich scheiteren muss... Der Junge verschwindet unter einer Bruecke, ebenfalls meine Hoffnung, den Player je wieder zu sehen... Ich hatte den MP3 also schon abgeschrieben (waere ja nicht das erste Mal, gell Uli!!) und wollte mich auf die Suche nach einem Hostal machen, doch da bin ich schon umringt von einer Horde Zeugen und Passanten. Was passiert sei, wo er hin gerannt sei, was geklaut wurde etc wollen sie wissen. Kurz darauf faehrt ein Pick-Up voller Militaers vorbei, der von einem der Maenner gestoppt wird. Aus dem Laster steigt nun eine Horde Soldaten (sicher 10 – 15 Maenner), diese zuecken ihre Waffen und nachdem ein Zeuge unter die Bruecke zeigt verschwinden sie einer nach dem anderen darunter. Ploetzlich heisst es nun, es wurde mir nicht nur der MP3 geklaut, sondern auch noch die Kamera und mein Pass und ich sei mit einem Messer bedroht worden. Immer wieder muss ich den Militaers und den spaeter dazu gestossenen Polizisten erklaeren, dass es nur ein kleiner MP3 Player war, dass es sich nur um einen Entreissdiebstahl handelt und mich der Mann in keiner Weise bedroht hatte. Es ist echt unglaublich, wie schnell die Leute Geschichten erfinden... Ich finde die Situation ausserst skurril, eine halbe Armee wegen einem MP3-Player!!!
Es dauert keine fuenfzehn Minuten, da pfeifen mich die Polizisten auch schon zu sich, hinter die Bruecke. Da hockt er auf dem Boden im schwarzen T-Shirt, im Dreck, voller Staub und am Kopf stark blutend, der Mann, welcher alles leugnet, von nichts wissen will, jedoch von allen Zeugen klar identifiziert wird (obwohl er eben noch ein blaues T-Shirt getragen hat...)
Die Passanten werden weg geschickt, und zusammen mit zwei Zeugen, zwei Polizisten und dem in Handschellen gelegten Taeter trotte ich in Richtung Stadtpark, wo sich anscheinend die naechste Polizeistation befindet. Der Taeter wird in einer Ecke des Postens angekettet und muss auf dem Boden hocken, waehrend ihn die Beamten beschimpfen... Lange geschieht ausserdem gar nichts, und ich beobachte die Aeffchen, welche in den Baumen des Parks herumturnen.
Ich warte und warte, und weiss eigentlich gar nicht worauf, bis mit einer der Beamten froh erzaehlt, man haette meinen MP3 gefunden. Zehn Minuten spaeter kommt dann auch ein Polizist angefahren und uebergibt mir stolz meinen Player. „Wie die Huehner mussten wir im Sand unter der Bruecke scharren...“ – meint er grinsend. Ich kann es kaum glauben!! Eine halbe Armee und ein paar Polizisten haben meinen Player davor gerettet, auf dem Schwarzmarkt zu landen! :^)
Obwohl es viele nicht verstehen, denen ich den Vorfall erzaehlt habe, aber ich habe den Mann nicht angezeigt. Der knapp 22-jährige lebt unter der Bruecke und klaut wegen seiner Drogensucht. Er ist meiner Meinung nach nicht nur Taeter, sondern auch Opfer seiner Gesellschaft. Die Angst die er unter der Bruecke wohl ausstehen musste, als eine halbe Armee einmarschiert ist Strafe genug... ;^)
Freitag, 6. Juli 2007
Tengo la camisa blanca (San Gil, Colombia)

(...) Porque sin ti mi vida yo no soy feliz Porque sin ti mi vida no tiene raíz Ni una razón para vivir lo único que quiero es poder regresar Poder todas las balas esquivar y sobrevivir Tu amor es mi esperanza y tú mi munición Por eso regresar a ti es mi única misión (...)
Juanes singt im T-Shirt mit der Aufschrift "Tengo la camisa blanca - por la paz en Colombia" Am 18 Juni hat die FARC 11 Diputados (Abgeordnete) aus dem Valle del Cauca, genau 5 Jahre nachdem sie sie entfuehrt hat, ermordet. Seither protestiert Kolumbien. Gegen die Entfuehrungen, gegen die Gewalt, fuer den Frieden. Zu hundert Tausenden sind sie auf der Strasse, in Bogota, Medellin, Cali, Bucaramanga, Barranquilla... im ganzen Land. Alle schwingen sie weisse Fahnen, halten Fotos Verschwundener oder brennende Kerzen in den Haenden, und Juanes singt...
Auch in Villa de Leyva wird protestiert. Durch die Strassen faehrt ein Auto mit Lautsprecher: "No queremos mas secuestrados. Paz para Colombia" - und an der Kirche haengt ein weisses Banner mit der Aufschrift "Jesus - nunca mas" und den Namen einiger der 4200 Entfuehrten...

Dienstag, 3. Juli 2007
Eindrücke aus Bogota (Bogota, Colombia)


Auf der Strasse bittet mich ein Bettler um Geld, das ich ihm negiere. Darauf hin bekomme ich seine Lebensgeschichte zu hören. Vertrieben wurde er, aus seinem ehemaligen Wohnort, von den Grossfirmen und ihrer „Selbstverteidigungsarmee“, den Paramilitärs. Einer der zig-tausend internen Flüchtlingen, die in der Hauptstadt ein neues Leben suchen. Und nicht finden. Was mich stutzen lässt, seine folgende Aussage: „Das hier ist nicht das Paradies, wir leben nicht in der Schweiz“ Er kann nicht wissen, dass ich Schweizerin bin. Er erreicht was er wollte und ich gebe ihm ein paar Pesos, für seine traurige Geschichte.
Ist die Schweiz wirklich das Paradies? Und – geht es uns vielleicht so gut, da es den Leuten hier schlechter geht? Dunkle Gedanken trüben den Tag. Immerhin gehören auch die Schweizer Unternehmen Nestlé und Glencore zu den Firmen hier, die erwiesenermassen im Namen der Gewinnoptimierung mit Hilfe der Paramilitärs ihre Gewerkschaften unterdrücken. Unbegründete Entlassungen, Vertreibungen, Einschüchterungen, Mord...
Kolumbien ist ein intensives Land.
Anschliessend Aufstieg zum Monserrate, Bogotas Hausberg. Nicht unanstrengend, schliesslich geht es von 2'500 auf 3'000 Meter. Entlang des Pilgerweges zum Gipfel ist die Unterhaltungsindustrie präsent. Man fühlt sich wie auf einem Jahrmarkt. Verkäufer mit Lotterielosen, ein improvisierter Schiessstand, Verkäufer von Kruzifixen und Marienbildchen, kleine Buden, wo man vom Süssgetränk zu Hormigas Culonas („Grossarschameisen“ – eine kolumbianische Alternative zu Popcorn) alles kaufen kann. Doch am erfolgreichsten scheint der Mann, der Stromstösse verkauft. Vor ihm scharrt sich die Horde. Der Spieler nimmt ein Metallstücke in jede Hand, während der Stromverkäufer per Kurbel die Dosis erhöht. 60, 65, 70... zählt laut der Verkäufer mit. Erst kribbelt es wohl, bis es weh tut. Kurz vor 80 lassen sie alle los, und verlieren somit den gesetzten Einsatz. Nur einer gewinnt. Der Alte grinst verschmitzt. Ich vermute, ein Komplize des Verkäufers, ohne Stromspannung. Ich liebe originelle Methoden zur Geldbeschaffung, und die Naivität der Leute.
Daneben die Pilger, die in Dank an die Wundersame schwarze Jungfrau von Monserrate barfuss, oder auf den Knien den Berg hoch steigen. Eineinhalb Stunden, bis die Knie bluten.
Herrliche Aussicht von oben. Bogota ist mit über 7 Millionen Einwohner die grösste Stadt in den Anden. Das sind so viele Einwohner, wie die ganze Schweiz. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass die Zahl wohl stimmt. Im Norden (die Reichen), gen Süden (die Armen), gen Westen - überall Stadt, bis zum Horizont. Doch Blick in den Osten: grüne Täler und Berge. Kolumbien ist voller Gegensätze.
Mittwoch, 27. Juni 2007
Könige der Strasse (Armenia, Colombia)

Noch vor kurzem galt diese Strecke als gefaehrlich, da die Guerrilla sich in dieser Region aufhielt. Doch heute kann man sicher reisen. Daran erinnern immer wieder Plakate mit der Aufschrift: “Reise beruhigt – deine Armee bewacht die Strasse”. Und so ist der Cali-Buenaventura Highway denn auch gesaumt von Polizei und Militaer. Alle paar Kilometer in regelmaessigen Abstaenden stehen sie da, in ihren Tarnanzuegen, schusssicheren Vesten und bis auf die Zaehne bewaffnet mit Maschinengewehr. Waehrend die Militaers “nur” Praesenz markieren und bewachen, kontrolliert die Polizei auch die durchfahrenden Fahrzeuge. Immer wieder wird man angehalten, ein kritischer Blick des Beamten durch die Passagiere, ein kurzer Blick ins Gepaeckfach auf der Suche nach Drogen dann geht es weiter…
Gefaehrlich ist die Strecke trotzdem. Daran erinnern immer wieder die Strassenschilder: “Hohes Unfallrisiko – fahre langsam”, “Gefaehrliche Kurve – fahre langsam”. Gesaumt ist die Strecke denn auch nicht nur von Polizei und Militaer, fast so haufig sieht man auch kleine Kreuze am Strassenrand… Kann ich jetzt beruhigt reisen oder muss ich bangen? Gemischte Gefuehle auf dem Hinweg im Sammeltaxi, Angst beim Rueckweg im Bus. Denn sowohl die Bus- wie auch Lastwagenfahrer in wohl ganz Lateinamerika glaubt sich Koenig der Strasse zu sein. Es scheint ein regelrechter Kampf zu sein, sich gegenseitig zu beweisen, wer der echte Koenig, der Rey de la Carretera, ist, und so liefern sich Busse und LKWs regelrechte Wettrennen. Trotz doppelt durchgezogener Mittellinie und Warnschildern (“Bei durchgezogener Linie nicht ueberholen – hohes Unfallrisiko”) sieht und erlebt man die krassesten Ueberholmanoever: Galaxia (mein Bus) gegen Transsur, Transsur gegen Pickups, Pickup gegen den vom Hafen kommenden mit “Hapag Lloyd” Container beladenen Truck, “Hapag Lloyd” gegen “Hamburg Sued” gegen “China” gegen Transsur gegen Galaxia… alle gegen alle…







Montag, 25. Juni 2007
Von Kondoren, Protesten und Minuten (Cali, Colombia)



In Tulcan treffe ich eine alte Frau, die ebenfalls zur Grenze muss, und so teilen wir uns das Taxi zur Busstation wo die Kleinbusse zur Grenze losfahren. Dort muss ich ganz schoen kaempfen, nicht sofort ins naechste Taxi nach Ipiales (Grenzstadt in Kolumbien) verfrachtet zu werden. All die Kolumbianer & Ecuadorianer welche mit mir im Sammeltaxi reisen scheinen Ihre Dokumente nicht stempeln oder vorzeigen zu muessen, da sie wohl nur schnell ueber die Grenze und dann gleich wieder zurueck kommen, und so muss ich ganz schoen kaempfen, dass die mich und vor allem mein Gepaeck nicht auch gleich ins naechste Sammeltaxi zerren. Schlussendlich schaffe ich es, mich loszureissen und meinen Pass doch noch gestempelt zu kriegen. Die anschliessende Fahrt nach Pasto ist beeindruckend: den Berg herunter geht es von karger Berglandschaft hinunter in ein fruchtbares, gruenes Tal, vorbei an kleinen, weissen Adobehauschen. Ein Gegensatz zu den moderneren Bauten eben noch in Ecuador.
…und in Pasto muss ich mich wieder daran gewoehnen, auf den Luxus eines vier oder fuenf-Sterne-Hotels zu verzichten…



In Popayan, einer wunderschoenen Kolonialstadt, erinnern nur die Erzaehlungen von Diego, meinem Gastgeber vom Hospi Club, und die Protestsprueche an den Waenden an den Konflikt: “Gobierno asesino”, “Gobierno narcoparamilitar terrorista”, “Somos estudiantes y no terroristas, porque nos matan?”… Das Regierungsgebaude strahlt denn auch nicht ganz so weiss, wie die restlichen Kolonialbauten: mit Farbbeuteln beworfen ist es bunt befleckt. Ein Arbeiter retouchiert die Sprueche wieder mit weisser Farbe. Wie lange wird es wohl dauern, bis sie wieder da stehen?
Minuten verkaufen muss ein gutes Geschaeft sein hier in Kolumbien, denn der Kolumbianer, so auch Diego, verkauft Minuten. “Minutos” heisst es ueberall: Schilder an Hausern und Tiendas weisen darauf hin. Es gibt sogar Leute auf den Strassen, welche als “Sandwich” mit einem grossen Schild oder einer grell leuchtenden Veste herumlaufen mit der Aufschrift: “Vendo minutos”. Als Europaer unverstaendlich: hat man hier so viel Zeit, dass man seine ueberfluessige Zeit verkauft? Gerne wuerde ich mir ja ein paar Minuten Urlaubszeit kaufen, ist auch gar nicht teuer, mit Preisen zwischen 100 – 300 Pesos pro Minute. (0.05 – 0.15 USD) Doch was die Verkaufer besitzen ist nicht zu viel Zeit, sondern ein Handy. Wer es vermag, fuer sein Pre-Pay Handy viele Minuten aufs Mal zu kaufen, bekommt diese billiger, und kann sie dann teurer an die Leute weiterverkaufen, welche entweder gar kein Handy besitzen, oder aber zwar eines haben, jedoch die Minuten teurer einkaufen muessen, da es nicht fuer eine grosse Menge aufs Mal reicht… Mir wird klar, weshalb ich an der Grenze keine Telefonkarte finden konnte fuer die oeffentlichen Telefone, denn wer braucht schon ein oeffentliches Telefon, wenn an jeder Ecke irgendjemand Minuten verkauft? (Nebenbemerkung: es gibt auch oeffentliche Telefone, aber diese funktionieren nur mit Muenzen. ) Und so klingelt es also bei Diego zu Hause immer mal wieder an der Tuer und jemand fragt nach “Minutos?”





Es ist echt unglaublich hier in Kolumbien. Wo immer man hinkommt, es findet sich jemand, der einen herumfuehrt, Geschichten erzaehlt und einem weiterhilft, wo noetig. Die Kolumbianer sind extrem gastfreundlich und hilfsbereit, sie freuen sich ueber jeden, der ihr Land besucht, denn es sind wenige die hierher kommen. Immer wieder werde ich mit einem Augenzwinkern gefragt, ob ich denn keine Angst haette, und groesser wird das Grinsen wenn ich sage, dass meine Mama zu Hause ganz schoen Panik gekriegt hat, als ich ihr von meinen Reiseplaenen berichtet hatte… Alle bedauern sie die Probleme und den schlechten Ruf des Landes, denn Kolumbien haette doch so viele Attraktionen! Und das stimmt - und wenn man diese als Tourist dann auch besucht, wird man meistens selbst zu einer…