Mittwoch, 15. Juli 2009

Im Land der aufgehenden Sonne (Nabusimake, Kolumbien)

NA-BU-SI-MA-KE, in der Sprache der Arhuaco-Indígenas etwa: da wo die Sonne zur Welt kommt…
Der Name klingt angenehm in meinen Ohren, er hat etwas magisches an sich, natuerlich will ich da hin.

Ich starte ab Valledupar nach Pueblo Bello, dem huebschen Dorf, dem letzten Dorf “Zivilisation”, bevor wir von hier auf Kolumbiens wohl schlechtester Strasse langsam aber stetig im Jeep in die Berge der Sierra Nevada de Santa Marta hoch kriechen. Die von der Sonne ausgetrocknete und von der Erosion aufgespaltene erdige Piste gleicht vielerorts denn auch eher einem Miniaturmodell des Grand Canyons, als dem, was man als Strasse bezeichnen wuerde. Ohne 4x4 waere ein Durchkommen nicht denkbar. Je hoeher wir kommen, umso karger wird die Vegetation, die trotz der erbarmungslosen Sonne aber erstaunlich gruen blueht. Doch immer wieder zeugen auch braune, ausgetrocknete, tote Farne am Wegesrand von der Kraft der erbarmungslos herunterbrennenden Sonne.

Nach zwei Stunden holpriger Fahrt erreiche ich Nabusimake. Fuer “Bonaches” (Gringos) gibt es im Dorf selber keine Unterkuenfte. Dazu ist der Ort der ansaessigen Arhauco Gemeinde zu heilig. Doch wenige Minuten Fussmarsch vom Dorf entfernt finden ich bei Doña Inés Quinto ein Plaetzchen.

Hier oben hoert man nur das Rauschen des Windes in den Baumen, das Plaetschern des Flusses und das Zwitschern der Voegel. Ich atme tief durch und geniesse die frische Luft. Ich liebe den Ort, bevor ich ihn eigentlich kenne.

Das Dorf, idyllisch eingebettet auf einer grossen Wiese und umgeben von den gruenen Bergen der Sierra Nevada , erinnert mich spontan an das kleine Gallierdorf von Asterix und Obelix. Umgeben von einer Stadtmauer aus aufgeschichteten Steinen liegen friedlich ein paar Dutzend kleine weisse runde, rechteckige oder quadratische Haeuschen mit dicken, z.T. mit Moosen bewachsenen Strohdaechern. Ich kann mir Troubadix wunderbar im Eucalyptusbaum vorstellen, Idefix ist auch da, allerdings in schwarz, und sogar die behaarten schwarzen Schweine auf der Weide gleichen eher einem Wild- als einem Hausschwein. Nur die Hinkelsteine fehlen.

Doch statt Asterix und Obelix begegnen mir in Nabusimake die Arhuaco Indígenas. Die Frauen tragen weisse bis ueber die Knie reichende Kleider. Als Gurt um die Taille dient ein dickes Band aus Wollfaeden. Die Aermel sind oft verziert mit farbigen Bordueren. Am meisten sticht jedoch ihr Halsschmuck ins Auge. Zahlreichen Ketten aus kleinen Plastikperlen, entweder bunt gemischt oder In einem Farbton gehalten. Kinder werden in Tuecher eingewickelt auf dem Ruecken in einer Art Tasche getragen, die mit einem breiten Band ueber den Kopf der Frau haengt. Alle Frauen scheinen ununterbrochen damit beschaeftigt zu sein Taschen zu stricken, oder Wolle dafuer zu spinnen, egal ob sie durchs Dorf spazieren, oder mit jemandem sprechen. Immer ist die Wolle dabei, die Nadel und stetig wird gestrickt. Ana Luisa, ein Arhauco Teenager Maedchen, bestaetigt dies: “Unsere Kultur ist es, nie mit Arbeiten aufzuhoeren. Wenn wir nicht auf dem Feld oder im Haus beschaefigt sind, machen wir Taschen. Die Arbeit dauert manchmal mehr als ein Monat, bis wir damit fertig werden. Traditionell verschenken wir sie dann an die Maenner, die uns gefallen, aber heutzutage verkaufen es viele auch.”

Eigentlich wuerde ich mir gerne hier eine Tasche kaufen. Doch niemand bietet sie zum Kauf an. Egal wen man fragt, die Tasche ist noch nicht zu Ende, oder man hat ja gerade erst angefangen. Ein Zeichen wohl, dass noch nicht viele Touristen vorbeigekommen sind, und sich danach erkundigt haben. Ich stelle mir das Dorf in ein paar Jahren vor. Ob dann wohl viele der Hauser als Souvenirshops dienen werden, wo Kunsthandwerk angeboten wird? Ob Touristen bald an jeder Ecke angesprochen werden, von den heute zurueckhaltenden Indígenas, ob sie nicht eine Tasche kaufen wollen? Da ich hoffe, dass der Ort immer so bleiben wird, ist es mir bei dieser Vorstellung bald egal, dass ich die Tasche wohl bei einem Haendler in Valledupar erstehen werden muss und bin froh, den Ort noch ganz alleine und vom Tourismus unverdorben geniessen zu duerfen.

Die Maenner sind dementsprechend mit vielen Taschen behangen. Mindestens zwei: eine grosse, fuer was man halt dabei haben muss, und eine kleine, fuer Kokablaetter und den sog. “Poporo”, ein Gefaess, das fuer sie so unentbehrbar scheint, wie fuer die Frauen Wolle und Nadel. “Der Poporo ist ein Maennlichkeitssymbol”, erfahre ich. Ganz klar auch ein Phallussymbol: Er ist gefertigt aus einem Kuerbis und einem darin steckenden Holzstab, der dazu dient, kleine Muscheln im Kuerbis zu einem weissen Pulver zu mahlen. Vom Stab wird das Pulver dann abgeleckt, es dient als Verstaerker der Alkaloide der Kokablaetter, die ununterbrochen gekaut werden. Haufig sind die Lippen der Maenner gelb-gruen gefaerbt von dem Brei, denn anscheinend werden im Gegensatz zu Bolivien die Blaetter richtig zerkaut. Als Begruessung zwischen Maennern wird oft kein Wort gewechselt, dafuer werden stillschweigend Kokablaetter aus den kleinen Taschen ausgetauscht.
Um die langen, schwarzen, gepflegten Haare, welche die Maenner offen tragen, werden sie wohl von vielen europaischen Touristinnen beneidet. Als Hut tragen sie eine sog. “Tutusoma”, eine Art Helm der aus den Fasern einer Agave gefertig wird und der wie ein umgedrehter Blumentopf auf ihrem Kopf trohnt und so die schneebedeckten weissen Spitzen der Berge der Sierra Nevada de Santa Marta symbolisieren. Auch die Kleidung der Maenner ist weiss. Der Poncho der ueber dem nackten Orberkoerper und einer Stoffhose getragen wird, reicht bis zu den Knien und ist mit einem breiten weissen Stoffband als Gurt fixiert. Mir faellt zudem auf, dass viele Maenner eine moderne, silbern oder golden glaenzende Armbanduhr tragen, und ich frage mich wozu…

Ganz ohne Tasche scheint kein Arhuaco nicht aus dem Haus zu gehen. Selbst Kinder tragen eine mit, und wenn man sie danach fragt, was sie denn dabei haetten, bekommt man oft eine leere Tasche praesentiert, oder sie tragen leere Plastiktueten herum. Wohl ihren Abfall, denn das Dorf ist erstaunlich sauber. Im Gegensatz zu den sog. “zivilisierten” Staedten liegt kaum Muell herum!

Als ich das Dorf zum ersten Mal durchquere fuehle ich mich als Eindringling in ihre Welt. Doch als ich mich einfach mal eine Weile hinsetze, frage ich mich bald, ob ich die Beobachtende oder die Beobachtete bin… Immer wieder naehern sich mir schuechterne Frauen, fragen mich, woher ich komme. Etwas Smalltalk, bevor sie sich wieder verabschieden. Und: nein, stoeren wuerde ich keinesfalls. Sie wuerden sich freuen, dass Touristen sehen, wie sie leben. Fast auch etwas stolz: “Viele Fremde sagen uns, dass es ihnen hier gefaellt. Dass unser Dorf etwas Spezielles sei.” Und das ist es wirklich! Ob ich hier an einem speziellen Ort entspanne, fragt auch ein vorbeigehender Arhuaco, der wohl nur zu Besuch hier ist, denn er traegt die Haare kurz und ist westlich gekleidet, doch sein Poporo identifiziert ihn klar als Indígena. Ich entgegne: “Ja, ich tanke meine Batterien mit Energie auf”. Er freut sich. Ich haette dies schoen gesagt, besser als er es formulieren koennte.

Besonders auch die Kinder sind neugierig. Da ich allerdings kein Arhauco spreche, und die Kleinen unter ihnen kein Spanisch verstehen, ist es schwierig, sich ihnen anzunaehern. Ich wende die Taktik vom kleinen Prinzen an, um einen der kleinen Jungen “vertraut zu machen”, so wie eben der kleine Prinz den Fuchs “gezaehmt” hat: "Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so verstohlen, so aus dem Augenwinkel anschauen, und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse. Aber jeden Tag wirst du dich ein bisschen näher setzen können ..." Und jedes Laecheln des Jungen sagt mehr als tausend Worte. Bald kommt er naeher, haelt mir seine Spielsachen (einen Ast, oder einen Deckel einer Pet-Flasche) hin, um dann schnell hinter der naechsten Hausecke zu verschwinden. Er winkt mich zu sich, doch wenn ich ankomme wo er war, ist er bereits spurlos verschwunden. Ob er Verstecken spielen will? Meist hockt er grinsend bereits ausserhalb der Stadtmauer, und rennt weg, wenn ich naeher komme… Dann kommt er irgendwann wieder zurueck, Brennholz im Schlepptau, und im Vorbeigehen labert er mich in Arhuaco voll. Ob er sich lustig ueber mich macht? Mir seine Arbeit kommentiert? Mich auffordert ihm zu helfen? … ich habe keinen blassen Schimmer, und laechle eben auch nur etwas dumm zurueck und zucke die Schultern…

Erst in der Schule lernen die Kinder richtig Spanisch. Der Unterricht ist allerdings auch in Arhuaco, die Lehrer sind von hier, und lehren die Kinder was ein Arhuaco wissen muss, etwa wie man Gemuese anpflanzt. Davon zeugt der grosse Garten der Schule. Es ist schoen zu sehen, dass das indigene Volk relativ autonom regiert und lebt. Ich muss an die Yuracaré Kinder in Bolivien denken, die in der Schule Quechua lernen muessen, und gleichzeitig ihre eigene Sprache, das Yuracaré, verlieren… Schoen auch die Schule: hier lebten einst die missionierenden Kapuziner, die jedoch schnell von den Arhuacos vertrieben wurden. Heute dienen die Gebaude als Schule und Gesundheitsposten. Dass die Kapuziner ihre Arbeit nicht ganz beendet haben, bezeugt ein Blick durch die Spalten in der Tuere der Dorfkirche: ein Lagerraum mit leeren Gestellen, darauf eine einsame Taschenlampe, ein Geraet zum Verspruehen von Insektiziden, ein paar Haufen Stroh, ein kaputter Stuhl…

Ich verlasse den magischen Ort Nabusimake mit viel Freude im Herzen und voller Energie. Da kein Jeep mehr ins Tal faehrt mache ich mich zu Fuss auf den Weg durch die bruetende Hitze...

Samstag, 20. Juni 2009

Im Puracé-Nationalpark (Puracé, Kolumbien)

Die Fahrt von La Plata nach Puracé ist holperig. Staub und kalter Wind dringen erbarmungslos durch die Plastikwand des Pick-Ups hindurch. Je hoeher wir kommen, umso kaelter wird es. Das ist der Páramo: rauh und wild. Nach 5 Stunden erreichen wir San Juan. Es ist neblig und nieselt. Die Ranger Station im Puracé Nationalpark scheint verlassen. Doch immerhin im Restaurant, einer Bretterhuette am Strassenrand, treffen wir auf eine Frau. Sie braut gerade Kaffee und Agua Panela. "Nein, hier gibt es keine Unterkunft.", meint sie. Die Unterkuenfte im Park seinen 17 Kilometer von hier entfernt. Ob spaeter nochmals Transport vorbeikommt weiss man nicht so genau. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sonst muessten wir halt zu Fuss gehen. Aber wir koennten ja erstmal was essen. Der Parkwaechter sei auch bald zurueck, oder wir wuerden ihn bei den natuerlichen Thermalquellen finden... Und so machen wir uns auf den Weg. Nach einem kurzen Marsch durch den Páramo erreichen wir die Thermalbaeder. Inmitten der rauhen Umgebung eine Oase, ein kleines Paradies. Gruene und orangene Moose und skurrile Pflanzen, wie struppige kleine Palmen, oder grosse rote Blumen, die wie Spargeln aus dem Boden stehen, umgeben die milchig blauen Wasser des Flusses, der immer wieder natuerliche Pools bildet. In der Luft haengt der Duft von Schwefel, es steigt Dampf aus dem Wasser. Das Ganze sieht aus, wie eine kuenstlich, perfekt angelegte Gartenanlage. Doch so perfekt kann nur die Natur selber sein... Hier wollen wir bleiben! "In der Cabaña duerft ihr nicht bleiben, sie ist nicht fuer Touristen ausgestattet. Es ist nicht erlaubt. Ich mache aber gerne eine Ausnahme fuer Euch, ich muss ja fast, wer weiss, ob ihr sonst noch wegkommt. Aber es gibt keine Decken und es wird kalt." Wir sind erleichtert. Gegen die Kaelte haben wir unsere Schlafsaecke resp. dicken Jacken. Wieso es denn nicht erlaubt sei, dass Touristen hier bleiben, wollen wir wissen. Die Cabaña sei frueher von der Guerrilla besetzt worden, man duerfe nichts riskieren. Aber eigentlich wisse Hector, der Parkranger, dass nichts geschehen wuerde, wenn wir bleiben, er wohne ja auch schon lange hier. Die Guerrilla zeige sich zwar manchmal, doch es sei ruhig. Wir freuen uns also auf den gemuetlichen Abend am Kaminfeuer und auf das entspannende Bad im heissen Wasser. Wer in einer Gruppe herkommt, muss aufs Bad in den natuerlichen Thermalbaedern verzichten, denn die Pools sind klein, und zu viele Gaeste koennten das empflindliche Oekosystem drum herum beschaedigen, doch da wir nur zu zweit sind, und um diese Zeit keine anderen Touristen mehr kommen werden, kann - schon wieder - fuer uns eine Ausnahme gemacht werden. Schnell ist die Badehose angezogen und das heisse Wasser tut so richtig gut. Ich bin Eva im Paradies. Ueberwindung braucht es dann, um bevor es dunkel wird das waermende Nass wieder zu verlassen. Es windet und ist auf ueber 3200 muM bitterkalt...

Der naechste Morgen erwartet uns mit Regen und Nebel... Kein einziger waermender Sonnenstrahl dringt durch die dicke Wolkendecke hindurch. Oben sei es schoen, erfahren wir von Hector. "Oben" das ist der Sektor Pilimbalá, wo eben auch die Unterkuenfte sind, und von wo der Aufstieg zum Puracé-Vulkan beginnt. Doch es will und will kein Bus oder Pick-Up vorbeikommen, und bei Wind und Regen wollen wir auf keinen Fall mit all unserem Gepaeck zu Fuss gehen... Erst am Mittag dann die ersehnte Mitfahrgelegenheit, fuer die naechsten 15 holprigen Kilometer. Gemaess den Karten aus Bogotá sei die Strasse von La Plata nach Popayan schon lange asphaltiert, erfahren wir unterwegs. Doch staatliche Bauvorhaben sind hier in Lateinamerika leider oft Synonym von Korruption. So blieb auf der Strasse Schotter, auf dem Papier Asphalt. Und wanderte wohl eine beachtliche Summe Geld in die Taschen eines Politikers...

Oben strahlt tatsaechlich der Himmel und es wird sogar ein bisschen warm an der Sonne. Wir erkunden die Umgebung und ein kleiner Junge fuehrt uns durch den Wald um uns die schoensten Orchideen zu zeigen. Den Aufstieg zum Vulkan wollen wir morgen wagen, denn heute schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig zurueck, und so nutzen wir den Nachmittag um uns von vergangenen Strapazen etwas zu erholen und Energie fuer morgen zu sammeln.

Der Aufstieg beginnt frueh am morgen. Alleine mache ich mich auf den Weg, von ca 3400 muM zum Krater auf 4700 muM. Erst durch Weiden und Gaerten, dann auf schlammigen Wanderwegen durch den Páramo, vorbei an den typischen "Frailejones" (Zu Deutsch: Rosettenstauden) und "Granizos de Páramo", immer weiter nach oben, bis die Vegetation ganz verschwindet und die letzten Hoehenmeter zum Krater nur noch von Geroell und Vulkangestein gepraegt sind. Die Aussicht von hier oben waere fantastisch, waere es nicht windig, kalt und neblig, sodass man kaum weit sieht. Der heftige Regen, die Kaelte und Hoehe zehrt an den Kraeften, manch ein Wanderer kehrt um, bevor er den Krater erreicht. Ich bin dankbar fuer meine super Winter- und Regen- High Tech Transa Ausruestung (Werbe-Einschub zu Ende), meine Trekkinghose und Wanderschuhe sind allerdings auch durchnaesst und sobald ich stehen bleibe beginne ich vor Kaelte zu zittern. Ich erinnere mich an Hectors Geschichte, wie er sich verlief und 5 Tage im Nationalpark herumgeirrt sei, und bin froh, dass der Weg zum Krater so gut signalisiert ist. Als ich den Krater endlich erreiche, blaest mich der Wind fast wieder rueckwaerst den Hang herunter. Ein scheuer Blick, das Beweisfoto, schnell trete ich den Rueckweg an. Erschoepft und durchfroren erreiche ich Pilimbalá nach 8 Stunden Wanderung wieder. Mit heissem Agua Panela taue ich etwas auf, und ich freue mich, dass mir Juan Carlos (der hiesige Parkranger) seine heisse Dusche zur Verfuegung stellt, denn in der Billig-Unterkunft fuer Backpackers gibt es nur eiskaltes Wasser...

Tags darauf unternehme ich einen Ausflug zum Kondor-Canyon. Juan Carlos bringt 20 Tage altes, moderndes, stinkendes Fleisch mit, um die Tiere anzulocken. Ein Spektakel sondergleichen ist es, die majestaetischen Anden-Voegel dann aus naechster Naehe zu beobachten, erst beim Anflug, dann dem Fressen und dabei, wie sie die neben ihnen klein wirkenden Aasgeier zu vertreiben versuchen. Nur noch zwei der vom Aussterben bedrohten Tiere leben hier. Neben den zwei Kondoren sehen wir beim nahegelegenen Parkplaetz die Reste zweier ausgebrannter Autos. "Die Guerrilla hat sie verbrannt. Die Transportunternehmen haben die obligatorische "Lokalsteuer" (sog. "Vacuna" / "Spritze") nicht bezahlt"...

Montag, 1. Juni 2009

Samba der kleine Ameisenbaer (Iquitos, Peru)

"Geht einfach direkt zum Hafen, da steht sie schon, die Eduado III.", erklaert man uns im Buero der Transportgesellschaft, nachdem man uns nur etwa eine halbe Stunde hat warten lassen. Schnell schwingen wir unser Gepaeck und uns in ein Moto-Taxi und brausen zum Hafen. Das grosse Schild am Schiff kuendet die Abfahrt fuer 5 Uhr nachmittags an. Schnell ist die Haengematte im untersten Deck - der billigsten Klasse - aufgehaengt, nur um sie kurz spaeter umzuplatzieren. Wollen wir lieber weg von dem Motor, dafuer gleich neben der Bar schlafen? Oder irgendwo in der Mitte, wo dafuer laute Musik aus den Lautsprechern plaerrt und daneben im Fernseher - ebenfalls laut aufgedreht - irgendwelche Telenovelas gezeigt werden? Schnell wird uns klar, dass es einen wirklich ruhigen Platz hier wohl nicht gibt. Wir entscheiden uns fuer ganz weit vorne, direkt neben der Bar, dafuer so hoffen wir, kriegen wir da etwas Fahrtwind ab, in den heissen tropischen Naechten. Und unser Gepaeck koennen wir praktisch an einen Pfosten direkt neben dem Schlafplatz ketten.

Doch die erste Nacht verbringen wir noch im Hafen. Nichts von wegen Puenktlichkeit. "Heute geht es nicht mehr los, morgen fruehestens am Mittag", heisst es. Aber genau weiss man es nicht. Immer steigen mehr Passagiere dazu. Unser erst noch grosser Freiraum um in der Haengematte zu schaukeln verschwindet schnell, in Abstaenden von einem halben Meter haengen bald dutzende bunte Haengematten in einer Reihe.

Mit Ohropax und Tuch auf den Augen ist die Nacht eigentlich ganz gut zu ueberstehen, bis frueh morgens grosse Aufbruchstimmung herrscht. "Die Pachito faehrt heute los, noch vor dem Mittag!", so geht es von Mund zu Mund, alle Passagiere packen schnell ihr Hab und Gut zusammen um direkt von der Eduardo III in die daneben liegende Pachito zu springen. Bei uns geht verschlafen alles noch nicht so schnell, und als wir rueberklettern wollen, ist die Pachito bereits losgefahren! "Kein Problem", ruft man uns noch vom anderen Schiff zu, "wir wechseln nur den Hafen!" Und so schleppen wir unser Gepaeck von einem Hafen zum anderen. Von neuem geht die Suche nach dem perfekten Haengemattenplatz los. Diesmal entscheiden wir uns fuer das Oberdeck, der Preis ist der gleiche, und tatsaechlich bleibt uns waehrend der ganzen Reise sogar genug Platz um weit in der Haengematte hin und her zu schaukeln!

Alles waere perfekt, wuerden wir nicht um 2 Uhr nachmittags von anderen Passagieren erfahren, dass die Eduardo nun doch schon bereits losgefahren sei, und wir liegen noch immer im Hafen und warten auf die Fracht, welche anscheinend wegen den Strassenblockaden verspaetet sei. Langsam wird klar, dass wir wohl noch eine Nacht im Hafen verbringen werden muessen. Immerhin bekommen wir auf Druck aller Passagiere ein Abendessen und das Fruehstueck tags darauf gestellt. Das Bordessen erweist sich, im Gegensatz zu meinen Erfahrungen auf dem Frachtschiff in Bolivien, nicht als kulinarischer Hoehenflug. Eine einfache Suppe zum Abendessen, Haferschleim zum Fruehstueck - doch satt macht es, und wir hatten vorsorglich ein paar Fruechte und Kekse eingekauft.
Langweilig wird die Wartezeit eigentlich nicht. Wir spielen Karten, relaxen in der Haengematte und... kaufen kurzerhand einen kleinen Ameisenbaeren als Haus- resp. Bordtier.

Nein, wir sind nicht so durchgeknallt, wie das vielleicht klingen mag. Das Tier ist naemlich schon an Bord. "Wir haben ihn soeben auf dem Markt gekauft, aber der Kleine nervt ganz schoen", meint die Besitzerin, welche sich wahrscheinlich gedacht hat, ein Ameisenbaer sei doch eigentlich eine exotische Alternative zur Hauskatze oder einem kleinen Hund. Was fuer ein Tier es genau ist, weiss sie zwar nicht, jedenfalls nicht, dass ein Ameisenbaer Ameisen und Termiten frisst, oder dass der jetzt noch kleine Knirps, spaeter ein ganz grosser wird. "Schau, er frisst Banane und trinkt Coca Cola"... Mir wird fast schlecht! Dass der zahnlose Ameisenbaer nicht faehig ist, etwas anderes als Termiten und Ameisen zu fressen wissen sie nicht. Ich stelle mir auch vor, wie die Tierhaendler seine Mutter sicherlich getoetet haben, denn die Erklaerung, man haette ihn alleine irgendwo im Dschungel gefunden toent nicht sehr ueberzeugend...
Die Familie ist allerdings von dem erst niedlich erscheinenden Tierchen bereits sehr genervt. Es liegt in der Natur eines Ameisenbaeren, auf Baeume zu klettern und Termiten zu suchen. Fehlen die Baeume, dient halt alles andere als Alternative, der Kleine klammert sich an Beine und Hosen fest, klettert geschickt soweit hoch wie moeglich und steckt unterwegs seine lange, duenne Zunge in jede erdenkliche Koerperoeffnung auf der Suche nach Nahrung. Im Ohr ist das nicht sehr angenehm, auch nicht unter dem Arm, wo es kitzelt... So wundert es kaum, dass die Familie das Tier loswerden will. Wir befuerchten schon, sie wuerden es bald ueber Bord werfen, und so beschliessen wir kurzerhand, das Tier zu kaufen, in der Hoffnung, in Iquitos einen geeigneten Platz in einer Tierauffangsstation zu finden. 20 Soles, etwa 7 Franken.

Jeder Stopp in den kleinen Doerfern unterwegs wird ausgenutzt, um Samba, so taufen wir das Baerchen, spazieren zu fuehren. Er wirkt zwar noch etwas ungeschickt, und will nicht richtig fressen, nicht einmal, wenn wir ihn direkt auf den Ameisenhaufen setzen... Doch zum Glueck sind wir im Dschungel, und entdecken bald sogar ein Termitennest, das ihn erst so richtig gluecklich macht. Mit einem Stock schlagen wir es vom Baum und nehmen es gleich mit an Bord, damit der Kleine die dreitaegige Fahrt auch sicher uebersteht...

In Iquitos bringen wir Samba gleich ins Pilpintuwasi Amazon Animal Orphanage
Der Abschied von dem kleinen Biest tut schlussendlich fast ein bisschen weh. Doch wir sind froh, einen wirklich schoenen Platz fuer unser Adoptiv-Ameisenbaerchen gefunden zu haben und sind sicher, dass er hier gross und stark werden wird! ;)

Sonntag, 19. April 2009

Hokuspokus (Chiclayo, Peru)

“Liebe Fahrgaeste . Ich heisse sie ganz herzlich in Chiclayo, der Stadt der Freundschaft willkommen.”
Als heute auf der Fahrt von Trujillo nach Chiclayo der Mann im karierten Hemd zusteigt und diese auswendig gelernte Begruessungsrede anstimmt, denke ich zu wissen, was kommen wuerde. Ich glaubte, dass ich so ziemlich alles gesehen habe, was man auf einer Busfahrt zu sehen kriegen kann:

Die fliegenden Verkaeufer, welche Esswaren und Getraenke – von Coca Cola (resp. hierzulande Inca Kola, die aber ebenfalls zur Coca Cola Company gehoert) bis zur selber gebrauten Chicha Morada oder frisch gebackenen Keksen und Empanadas anbieten, nehme ich ja schon gar nicht mehr wahr (ausser ich habe Hunger oder Durst).

Die zusteigenden, singenden Kinder, die dann um ein Trinkgeld betteln und die ich eher bezahlen muerde, damit sie aufhoeren zu singen…

Die genarbten Maenner, die von ihrer harten Vergangenheit als Gangster und ihrer jetzt ehrlichen Taetigkeit als Suessigkeitenverkaeufer erzaehlen…

Oder die Wunderheiler, die die Salbe gegen alles Uebel zum nur heute verfuegbaren Spezialpreis anpreisen…

Doch heute sind weder dubiose Wunderpuelverchen noch Suessigkeiten im Angebot. Der Mann aus Chiclayo steht mit leeren Haenden vor uns. Wobei, nicht ganz. Ein paar lose Seiten aus einer Zeitung werden einzeln praesentiert. Sie werden gefalten, gerollt und zerknittert, bald sollten darin Handys von Passagieren verschwinden und wieder auftauchen, wird Wasser weggezaubert um kurze Zeit spaeter wieder in den Becher zurueck zu fliessen, ein Plastikstab wird auf mysterioese Weise von der Zeitungstuete in der Hand des einen Passagieres vor seinen staunenden Augen in die Zeitungstuete in der Hand eines anderen Passagieres gebeamt und als grandioses Finale erscheint daraus gar eine flatternde Taube…

Das Ganze ohne lange Aermel oder andere durchschaubare Tricks. Eine unerwartete Zaubershow vom Feinsten, fuer ein freiwilliges Trinkgeld. Ich liebe Busfahren in Suedamerika!

Donnerstag, 26. März 2009

Piranha zum Fruehstueck (Trinidad, Bolivien)

“Mein” Schiff ist keiner der bunt bemalten Holzkutter, wie man sich ein Amazonasschiff vorstellt, und wie ich sie im Hafen von Puerto Villarroel gesehen habe. Es traegt auch keinen der romantisch klingenden Namen, wie Ulises, Lolita oder Gaviota – Moewe... Nein, “mein” Schiff ist grau, aus Metall und nennt sich TNR-09. Und so wie das klingt ist es auch: militaerisch! Eine Kriegsmarine ohne Meer beschaeftigt sich unter anderem damit, abgelegene Regionen des Landes mit Diesel und Benzin zu versorgen. Und so schieben wir einen grossen Oeltank vor uns her, eine weitere Plattform im Schlepptau, auf dem Weg von Puerto Villarroel nach Trinidad. 570’000 Liter Benzin und Diesel.

Tage zuvor: In den Dorfkneipen ersetzt laute brasilianische Forró-Musik die sonst fuer diese Region typische Cumbia-Villera. Das Dorf scheint dem im mehr als 1’300 KM und mindestens 10 Tage Flussfahrt entfernten Brasilien naeher gelegen zu sein als Cochabamba, woher ich in knapp 5 Stunden soeben angereist bin. Der Fluss verbindet.

“Uuh, du hast Pech. Gerade heute morgen ist ein Schiff los. Es kann dauern, bis das naechste faehrt”, ist die erste Auskunft, die ich im Hafen von Pto Villarroel von einem der Matrosen erhalte. Wann das Naechste fahre wisse noch keiner. Vielleicht am Dienstag, eher wohl erst am Mittwoch. Ich mache mich auf eine lange Wartezeit gefasst und checke ein in einem der einfachen Hotels des Hafens. Ich geniesse die letzten Sonnenstrahlen, welche das gegenueberliegende Ufer in ein schoenes orangenes Licht tauchen.
Tags darauf bei der Capitania: “Das naechste Boot faehrt am Dienstag, es ist ein Militaerschiff. Die Navy darf eigentlich keine Passagiere mitnehmen. Aber Du kannst ja mal den Kommandanten fragen.”
Und natuerlich darf ich mit!
Doch los geht es schlussendlich erst am Mittwoch. Immer wieder wird die Abfahrtszeit um einige Stunden nach hinten verschoben. Und so verbringe ich den ganzen Tag damit im Hotel mit den Besitzern Telenovela zu schauen: “Sin tetas no hay paraíso” – “Ohne Titten gibt es kein Paradies”. Die Geschichte einer jungen Kolumbianerin die sich ihre Brueste vergroessern lassen will, sich dafuer prostituiert und schlussendlich in die Haende eines Drogenschmugglers geraet, der ihr Kokain statt Silikon implantiert. Die Geschichte war so erfolgreich, dass die kolumbianische Produktion eins zu eins von den Mexikanern kopiert wurde und jetzt unter dem Namen “Sin senos no hay paraíso” (Ohne Brueste gibt es kein Paradies) ausgestrahlt wird…

Als alleinreisende Gringita hat man in Lateinamerika gewisse Privilegien. So stellt mir Kommandant Richard gleich seine Kabine zur Verfuegung. Er selber schlaeft dafuer auf meiner Camping Matte auf dem Boden. Spaeter zusteigende Passagiere muessen es sich auf den Benzintanks bequem machen, auf mitgebrachten Matratzen, und unter improvisierten Konstruktionen aus Plastikplachen und Moskitonetzen.

Die Schifffahrt ist wunderschoen. Durch ueppigen Dschungel geht es, vorbei an einfachen Siedlungen der Einheimischen. Ich mache es mir in meiner Haengematte bequem und lasse die Schoenheit der Natur an mir vorbeiziehen. Immer wieder gibt es Neues zu entdecken. Mal begleitet un seine Familie Flussschildkroeten, dann turnen in den Baumkronen ein paar Affen herum, liegt ein Krokodil mit weit offenem Mund am Ufer oder ein Paar roter Aras ueberfliegt den Fluss. Immer wieder sehen wir auch die Stars dieser Reise: die rosaroten Suesswasserdelfine. Meist sieht man sie nur kurz auftauchen, um Sekundenbruchteile spaeter auf Nimmerwiedersehen wieder im braunen Flusswasser zu verschwinden. Manchmal schwimmen sie aber auch eine Weile vor oder neben dem Schiff her, bis sie sich dann mit einem besonders hohen Sprung aus dem Wasser wieder verabschieden. Manch einer streckt seinen Schnabel aus dem Wasser, auf den sich dann Voegel stuerzen. Es sieht so aus, als ob der Delfin die Voegel fuettern wuerde…

Das Bordthermometer zeigt durchschnittlich 37.5 Grad an. Es ist heiss und feucht, und nichts wuensche ich mir mehr, als einen Sprung ins Wasser. Natuerlich ein voelliger Bloedsinn, die Stroemung ist schliesslich stark und das Schiff viel zu schnell. Doch Kommandant Richard kennt die Loesung, ruestet mich mit Schwimmweste aus und knotet mich einfach an einem der dicken Taue fest und so werde ich hinter dem Schiff hergezogen. Eine herrliche Erfrischung und super Massage! Kurz darauf faellt ihm ein, dass das ganze vielleicht doch etwas riskant sei und zieht mich zurueck. Im Beiboot entfernen wir uns etwas von der TNR-09, und hier darf ich wieder ins Wasser. Auch hier jedoch nur mit Schwimmweste und festgeknotet. Als dann nur etwa 15 Meter entfernt ein paar Flussdelfine auftauchen, erklaere ich mich zur gluecklichsten Person auf Erden! Zum Glueck erfahre ich erst im Nachhinein, dass der Strick fuer den Fall gedacht war, dass ich von einer Sicuri – so wird hier zu Lande die Anaconda genannt – gefasst wuerde…

Eines Tages liegt ein herber Geruch in der Luft, nach modriger Erde und verbranntem Knoblauch. “Es heisst, dass eine Sicuri in der Naehe ist”, weiss Alex, ein Mitreisender. Tatsaechlich kommt Minuten spaeter aufgeregt Limachi – ein Mitglied der Crew – angerannt: "Habt ihr die Sicuri gesehen?" Doch wir schauen zu spaet in die richtige Richtung. Bereits ist sie weggetaucht.

Manchmal naehern sich uns Einheimische in Einbaumkanus, legen an die Plattformen an und bieten uns entweder Fisch, Fruechte oder pure Schokolade ohne Milch oder Zucker zum Kauf oder im Tausch gegen Benzin an… Die erstandenen Piranhas gibt es dann tags darauf zum Fruehstueck...

Dann die kitschigen Sonnenuntergaenge, welche ich jeweils vom Dach des Steuerhauschens auf der Kommandobruecke geniesse, und die sternklaren Naechte…
Eine unvergessliche Reise!

Mamore

Freitag, 27. Februar 2009

Wenn Baeren mit Gringas tanzen (Oruro, Bolivien)

Der Karneval von Oruro ist der zweitgrösste von Südamerika, der grösste in den Anden. Hier tanzen sich jedes Jahr um die 30´000 Tänzerinnen und Tänzer in Verehrung für die Jungfrau des Bergwerksstollens in Ekstase, einige wortwörtlich bis zum Umkippen. Schon frueh morgens geht es los, das Spektakel in Oruro. Puenktlich um 8 Uhr früh starten die ersten Truppen den 8 Kilometer langen Tanzmarathon bis zur Bergwerkskirche „Socavon“, wo sie dann nach acht bis zehn Stunden Tanz erschoepft vor der Jungfrau auf die Knie fallen und beten werden. Der Karneval von Oruro ist wohl die eindruecklichste und farbenfroheste religioese Feier überhaupt.

Abwechslungsreich geht es hier zu und her.

Da kommt eine Truppe Morenadas. Eigentlich eine traurige Geschichte. Sie erzählt das tragische Schicksal der schwarzen Sklaven, die in Oruro in den Minen arbeiten mussten. Die prächtigen Kostüme der Männer, welche die Aufseher mit schweren Peitschen und weissen Glatzen darstellen, stehen im Gegensatz zu den Masken, welche die Sklaven in völliger Erschöpfung mit aufgerissenen Augen zeigen.
Frueher galt bei den Morenadas ein absolutes Verbot für Frauen. Heute jedoch stehlen die hübschen Mädchen, die elegant vor dem Rest der Truppe herstolzieren, den dahinter in schweren Kostümen bepanzerten Männern die Show. Was allerdings die knapp bekleideten Tänzerinnen mit der Sklavengeschichte zu tun haben, bleibt mir ein Rätsel...

Da sind auch die Tinkus, die in ihren expressiven Choreographien den traditionellen Faustkampf nachahmen. Noch in den 80-Jahren sollen die Tinku-Tänzer auch am Karneval von Oruro richtig untereinander gekämpft haben. Damit Blut fliesst, das will die Pachamama schliesslich so, ein Opfer für Mutter Erde. Noch früher musste gar jemand sterben, damit der Karneval ein guter Karneval war, und vor allem, damit nächstes Jahr die Pachamama den Menschen gut gestimmt war und für eine ausgiebige Ernte sorgt. Heute scheint Pachamama nicht mehr so anspruchsvoll zu sein. Doch auch heute noch wird der echte Tinku an vielen Orten in Bolivien praktiziert. Und auch die heutigen Tinkus in Oruro gelangen sich ab und zu spielerisch in die Haare und manch einer endet auf dem Boden. Der Alkohol tut seine Wirkung dazu. Eingreifen darf niemand, ist aber heute auch nicht nötig...

Und natürlich die Teufelstänzer. Ihre Kostüme und Masken sind wohl die farbenprächtigsten überhaupt. Die berühmte Diablada, der Tanz zu Ehren des Tios, des Teufels, des Minengottes... In knallbunten Kostümen und riesigen Teufelsmasken mit langen gekrümmten Hörnern rennt die Teufelshorde zu kräftigen Rhythmen dem Erzengel Gabriel hinterher. Kampf zwischen Gut und Böse. Doch es tanzen auch Kondore und knuffige, weisse Anden-Bären mit, meine absoluten Lieblinge des Karnevals.

Doch das ist noch lange nicht alles: Da sind die ausdrucksvollen "Negritos" - Afrobolivianer (oder schwarz geschminkte Imitationen)- dank deren Kostümen mit Ketten resp. Peitschen die Sklaverei nicht in Vergessenheit gerät; die wild und hoch in die Luft springenden Tobas, die mit Tierfellen bekleidet, ihren Feder-Mähnen auf dem Kopf und den Pfeilen in den Händen an die Indianer im Dschungel erinnern; die Llameradas, deren Taenzerinnen alle ein kleines weisses Plüsch-Lama auf dem Arm sanft zur Musik wiegen; die Caporales, die mit ihren kraftvollen Choreographien und grossen Truppen zu den Lieblingen des Publikums gehören...

Doch Karneval in Oruro ist mehr als nur eine Show. Wer Oruro besucht, lebt den Karneval. Das Publikum in den Tribünen tanzt auf den Sitzen mit und vergnügt sich mit Bier und Wasser. Zweiteres, um sich regelrechte Wasserschlachten zu liefern. Verkäufer von Wasserballons - meist Kinder - sorgen für den nötigen Nachschub und klettern sogar die wackeligen Holzleitern bis zuhinterst hoch, damit wir die Schlacht mit den Zuschauern auf der gegenüberliegenden Tribüne nicht verlieren...

Als Zuschauer ist man aber auch willkommen, sich in die Comparsas, die Tanztruppen, einzureihen. Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen, und hüpfe bald mit den Tobas um die Wette. Von der Morenada „Zona Norte“ aus Oruro, einer der ältesten Comparsas, werde ich gar eingeladen, nächstes Jahr mitzumachen. Doch bald verleidet mir die Morenada, und ich finde mich wieder mit zwei Maracas (Rasseln) in den Händen eine Band unterstützend, umarme dann einen der flauschigen Anden-Bären der Diablada und tapse mit ihm bärig durch die Gegend, um danach mit einer afrobolivianischen Truppe zu tropischen Rhythmen mehr oder weniger Salsa zu tanzen...

Ein unvergessliches Erlebnis. Einfach HAMMER. WOW!!!

Carnaval de Oruro

Donnerstag, 29. Januar 2009

Geistergeschichten (Tupiza, Bolivien)

Im kleinen Nest San Antonio de Lipez war seit dem 16. Jahrhundert nach Gold und Silber gesucht worden. Und so klein war die Ortschaft zur Bluetezeit eigentlich gar nicht, so lebten hier rund 5000 Menschen, die so reich waren, dass sie Geld nicht abzaehlten, sondern jeweils in Hueten massen. Zu verdanken hatten sie ihren Reichtum dem “Tio”, dem Teufel, der ihnen gut gewillt Glueck in den Minen bescherte. Und der Teufel hatte hier alles und alle unter Kontrolle: Er begann, eine schoene Kirche bauen zu lassen, und daneben, mitten im Dorf, den Friedhof, damit er sich den toten Seelen annehmen konnte. Das Dorfleben ging gemuetlich weiter, bis eines Tages Besuch kam.

“Der Pfarrer ist ein Teufel”, meinte der kleine Junge, der soeben aus Tupiza angekommen die Messe besucht hatte, “ich habe seinen langen Schwanz klar gesehen!” Erschrocken nahmen die Bewohner des Ortes diese beunruhigende Neuigkeit zur Kenntnis. Was sollte man da machen? Ein Rosenkranz war die Loesung, mit dem man den Teufel auf dem Gipfel eines Huegels ausserhalb des Dorfes ankettete und begrab.

Doch seit diesem Tag blieb San Antonio verflucht. Die Bewohner wurden über Nacht blind, verschwanden und einer nach dem anderen ist einfach so verstorben. Ruhig schlafen konnte keiner mehr, man hoerte Geraeusche die es nicht gab und die Angst war allgegenwaertig. Um den Teufel zu beruhigen wurden die Verstorbenen erst noch direkt vor seiner Kirche vergraben, doch alles half nichts…

San Antonio wurde aufgegeben, niemand wollte hier bleiben, aus Angst, bald selber zu sterben. Die Menschen gruendeten 20 KM entfernt eine neue Ortschaft, wo sie bis heute ruhig leben koennen. Noch heute wird bei der Ruinenstadt nach Edelmetallen gesucht, aber übernachten tut dort niemand. Nur ein Mann ist bis vor 5 Jahren hier geblieben, sein Haus an dem Strohdach klar zu erkennen. Er erzaehlt, dass er nur mit der Bibel in den Haenden ruhig schlafen konnte…

Ein Versuch in den 70ern, die Stadt wieder zu beleben, ist gescheitert, die Ruinen der neu erbauten Kirche zeugen davon. Und wer sich hier alleine nachts hingetraut kann sie immer noch hoeren: die Stimmen, den Gesang, das Galloppieren der nicht vorhandenen Pferde…