Mittwoch, 15. Juli 2009

Im Land der aufgehenden Sonne (Nabusimake, Kolumbien)

NA-BU-SI-MA-KE, in der Sprache der Arhuaco-Indígenas etwa: da wo die Sonne zur Welt kommt…
Der Name klingt angenehm in meinen Ohren, er hat etwas magisches an sich, natuerlich will ich da hin.

Ich starte ab Valledupar nach Pueblo Bello, dem huebschen Dorf, dem letzten Dorf “Zivilisation”, bevor wir von hier auf Kolumbiens wohl schlechtester Strasse langsam aber stetig im Jeep in die Berge der Sierra Nevada de Santa Marta hoch kriechen. Die von der Sonne ausgetrocknete und von der Erosion aufgespaltene erdige Piste gleicht vielerorts denn auch eher einem Miniaturmodell des Grand Canyons, als dem, was man als Strasse bezeichnen wuerde. Ohne 4x4 waere ein Durchkommen nicht denkbar. Je hoeher wir kommen, umso karger wird die Vegetation, die trotz der erbarmungslosen Sonne aber erstaunlich gruen blueht. Doch immer wieder zeugen auch braune, ausgetrocknete, tote Farne am Wegesrand von der Kraft der erbarmungslos herunterbrennenden Sonne.

Nach zwei Stunden holpriger Fahrt erreiche ich Nabusimake. Fuer “Bonaches” (Gringos) gibt es im Dorf selber keine Unterkuenfte. Dazu ist der Ort der ansaessigen Arhauco Gemeinde zu heilig. Doch wenige Minuten Fussmarsch vom Dorf entfernt finden ich bei Doña Inés Quinto ein Plaetzchen.

Hier oben hoert man nur das Rauschen des Windes in den Baumen, das Plaetschern des Flusses und das Zwitschern der Voegel. Ich atme tief durch und geniesse die frische Luft. Ich liebe den Ort, bevor ich ihn eigentlich kenne.

Das Dorf, idyllisch eingebettet auf einer grossen Wiese und umgeben von den gruenen Bergen der Sierra Nevada , erinnert mich spontan an das kleine Gallierdorf von Asterix und Obelix. Umgeben von einer Stadtmauer aus aufgeschichteten Steinen liegen friedlich ein paar Dutzend kleine weisse runde, rechteckige oder quadratische Haeuschen mit dicken, z.T. mit Moosen bewachsenen Strohdaechern. Ich kann mir Troubadix wunderbar im Eucalyptusbaum vorstellen, Idefix ist auch da, allerdings in schwarz, und sogar die behaarten schwarzen Schweine auf der Weide gleichen eher einem Wild- als einem Hausschwein. Nur die Hinkelsteine fehlen.

Doch statt Asterix und Obelix begegnen mir in Nabusimake die Arhuaco Indígenas. Die Frauen tragen weisse bis ueber die Knie reichende Kleider. Als Gurt um die Taille dient ein dickes Band aus Wollfaeden. Die Aermel sind oft verziert mit farbigen Bordueren. Am meisten sticht jedoch ihr Halsschmuck ins Auge. Zahlreichen Ketten aus kleinen Plastikperlen, entweder bunt gemischt oder In einem Farbton gehalten. Kinder werden in Tuecher eingewickelt auf dem Ruecken in einer Art Tasche getragen, die mit einem breiten Band ueber den Kopf der Frau haengt. Alle Frauen scheinen ununterbrochen damit beschaeftigt zu sein Taschen zu stricken, oder Wolle dafuer zu spinnen, egal ob sie durchs Dorf spazieren, oder mit jemandem sprechen. Immer ist die Wolle dabei, die Nadel und stetig wird gestrickt. Ana Luisa, ein Arhauco Teenager Maedchen, bestaetigt dies: “Unsere Kultur ist es, nie mit Arbeiten aufzuhoeren. Wenn wir nicht auf dem Feld oder im Haus beschaefigt sind, machen wir Taschen. Die Arbeit dauert manchmal mehr als ein Monat, bis wir damit fertig werden. Traditionell verschenken wir sie dann an die Maenner, die uns gefallen, aber heutzutage verkaufen es viele auch.”

Eigentlich wuerde ich mir gerne hier eine Tasche kaufen. Doch niemand bietet sie zum Kauf an. Egal wen man fragt, die Tasche ist noch nicht zu Ende, oder man hat ja gerade erst angefangen. Ein Zeichen wohl, dass noch nicht viele Touristen vorbeigekommen sind, und sich danach erkundigt haben. Ich stelle mir das Dorf in ein paar Jahren vor. Ob dann wohl viele der Hauser als Souvenirshops dienen werden, wo Kunsthandwerk angeboten wird? Ob Touristen bald an jeder Ecke angesprochen werden, von den heute zurueckhaltenden Indígenas, ob sie nicht eine Tasche kaufen wollen? Da ich hoffe, dass der Ort immer so bleiben wird, ist es mir bei dieser Vorstellung bald egal, dass ich die Tasche wohl bei einem Haendler in Valledupar erstehen werden muss und bin froh, den Ort noch ganz alleine und vom Tourismus unverdorben geniessen zu duerfen.

Die Maenner sind dementsprechend mit vielen Taschen behangen. Mindestens zwei: eine grosse, fuer was man halt dabei haben muss, und eine kleine, fuer Kokablaetter und den sog. “Poporo”, ein Gefaess, das fuer sie so unentbehrbar scheint, wie fuer die Frauen Wolle und Nadel. “Der Poporo ist ein Maennlichkeitssymbol”, erfahre ich. Ganz klar auch ein Phallussymbol: Er ist gefertigt aus einem Kuerbis und einem darin steckenden Holzstab, der dazu dient, kleine Muscheln im Kuerbis zu einem weissen Pulver zu mahlen. Vom Stab wird das Pulver dann abgeleckt, es dient als Verstaerker der Alkaloide der Kokablaetter, die ununterbrochen gekaut werden. Haufig sind die Lippen der Maenner gelb-gruen gefaerbt von dem Brei, denn anscheinend werden im Gegensatz zu Bolivien die Blaetter richtig zerkaut. Als Begruessung zwischen Maennern wird oft kein Wort gewechselt, dafuer werden stillschweigend Kokablaetter aus den kleinen Taschen ausgetauscht.
Um die langen, schwarzen, gepflegten Haare, welche die Maenner offen tragen, werden sie wohl von vielen europaischen Touristinnen beneidet. Als Hut tragen sie eine sog. “Tutusoma”, eine Art Helm der aus den Fasern einer Agave gefertig wird und der wie ein umgedrehter Blumentopf auf ihrem Kopf trohnt und so die schneebedeckten weissen Spitzen der Berge der Sierra Nevada de Santa Marta symbolisieren. Auch die Kleidung der Maenner ist weiss. Der Poncho der ueber dem nackten Orberkoerper und einer Stoffhose getragen wird, reicht bis zu den Knien und ist mit einem breiten weissen Stoffband als Gurt fixiert. Mir faellt zudem auf, dass viele Maenner eine moderne, silbern oder golden glaenzende Armbanduhr tragen, und ich frage mich wozu…

Ganz ohne Tasche scheint kein Arhuaco nicht aus dem Haus zu gehen. Selbst Kinder tragen eine mit, und wenn man sie danach fragt, was sie denn dabei haetten, bekommt man oft eine leere Tasche praesentiert, oder sie tragen leere Plastiktueten herum. Wohl ihren Abfall, denn das Dorf ist erstaunlich sauber. Im Gegensatz zu den sog. “zivilisierten” Staedten liegt kaum Muell herum!

Als ich das Dorf zum ersten Mal durchquere fuehle ich mich als Eindringling in ihre Welt. Doch als ich mich einfach mal eine Weile hinsetze, frage ich mich bald, ob ich die Beobachtende oder die Beobachtete bin… Immer wieder naehern sich mir schuechterne Frauen, fragen mich, woher ich komme. Etwas Smalltalk, bevor sie sich wieder verabschieden. Und: nein, stoeren wuerde ich keinesfalls. Sie wuerden sich freuen, dass Touristen sehen, wie sie leben. Fast auch etwas stolz: “Viele Fremde sagen uns, dass es ihnen hier gefaellt. Dass unser Dorf etwas Spezielles sei.” Und das ist es wirklich! Ob ich hier an einem speziellen Ort entspanne, fragt auch ein vorbeigehender Arhuaco, der wohl nur zu Besuch hier ist, denn er traegt die Haare kurz und ist westlich gekleidet, doch sein Poporo identifiziert ihn klar als Indígena. Ich entgegne: “Ja, ich tanke meine Batterien mit Energie auf”. Er freut sich. Ich haette dies schoen gesagt, besser als er es formulieren koennte.

Besonders auch die Kinder sind neugierig. Da ich allerdings kein Arhauco spreche, und die Kleinen unter ihnen kein Spanisch verstehen, ist es schwierig, sich ihnen anzunaehern. Ich wende die Taktik vom kleinen Prinzen an, um einen der kleinen Jungen “vertraut zu machen”, so wie eben der kleine Prinz den Fuchs “gezaehmt” hat: "Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so verstohlen, so aus dem Augenwinkel anschauen, und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse. Aber jeden Tag wirst du dich ein bisschen näher setzen können ..." Und jedes Laecheln des Jungen sagt mehr als tausend Worte. Bald kommt er naeher, haelt mir seine Spielsachen (einen Ast, oder einen Deckel einer Pet-Flasche) hin, um dann schnell hinter der naechsten Hausecke zu verschwinden. Er winkt mich zu sich, doch wenn ich ankomme wo er war, ist er bereits spurlos verschwunden. Ob er Verstecken spielen will? Meist hockt er grinsend bereits ausserhalb der Stadtmauer, und rennt weg, wenn ich naeher komme… Dann kommt er irgendwann wieder zurueck, Brennholz im Schlepptau, und im Vorbeigehen labert er mich in Arhuaco voll. Ob er sich lustig ueber mich macht? Mir seine Arbeit kommentiert? Mich auffordert ihm zu helfen? … ich habe keinen blassen Schimmer, und laechle eben auch nur etwas dumm zurueck und zucke die Schultern…

Erst in der Schule lernen die Kinder richtig Spanisch. Der Unterricht ist allerdings auch in Arhuaco, die Lehrer sind von hier, und lehren die Kinder was ein Arhuaco wissen muss, etwa wie man Gemuese anpflanzt. Davon zeugt der grosse Garten der Schule. Es ist schoen zu sehen, dass das indigene Volk relativ autonom regiert und lebt. Ich muss an die Yuracaré Kinder in Bolivien denken, die in der Schule Quechua lernen muessen, und gleichzeitig ihre eigene Sprache, das Yuracaré, verlieren… Schoen auch die Schule: hier lebten einst die missionierenden Kapuziner, die jedoch schnell von den Arhuacos vertrieben wurden. Heute dienen die Gebaude als Schule und Gesundheitsposten. Dass die Kapuziner ihre Arbeit nicht ganz beendet haben, bezeugt ein Blick durch die Spalten in der Tuere der Dorfkirche: ein Lagerraum mit leeren Gestellen, darauf eine einsame Taschenlampe, ein Geraet zum Verspruehen von Insektiziden, ein paar Haufen Stroh, ein kaputter Stuhl…

Ich verlasse den magischen Ort Nabusimake mit viel Freude im Herzen und voller Energie. Da kein Jeep mehr ins Tal faehrt mache ich mich zu Fuss auf den Weg durch die bruetende Hitze...

5 Kommentare:

Arhuaco hat gesagt…

nicolas-falk@live.de
Kann mir Jemand noch mehr Infos über Arhuacos geben Ich habe Rausgefunden das ich einer Bin . Meine Adoptiveltern Interessieren Sich null Dafür und Ignorieren mich Genauso wie viele behörden und Ämter eine Grosangelegte Diskriminierungskampangne gegen mich Starten . ich brauch protektion.
Und wenn ich mich bei einer persönlichkeitscoach darüber Auslasse über die Diskriminierung und Ignoranz , dann sagen alle ich solle Hingehen wo ich herkomme.Dabei bin ich doch Adoptierter Deutscher Und Habe in Deutschland Sowohl Zivil als Auch im Militär Gediehnt (erster Indianer bei der Bundeswehr)UND Dabei habe ich ganz tolle kinder Hier in Deutschland Bin Algemein relativ Hochgebildet und habe visionäre Vorstellungen von erziehung und Pädagogig . Aber das mich diskriminirende Jugendamt will nicht, das ich mein Kind erziehe . Bitte helft Mir nicolas-falk@live.de

Unknown hat gesagt…

Hallo

ich war 1994 in Nabusimake und bin nun nach 22Jahren wieder in Kolumbien unterwegs.Ich überlege mir grad nochmals da hinzugehen. Schön dass sich zumindest bis 2007 nicht viel an diesem magischen Ort verändert hat und der Massentourismus noch nicht Einzug gehalten hat.Habe aber ein bisschen Angst, dass ich meine wunderbaren Erinnerungen aus dieser Zeit nun definitiv lösche bei einem erneuten Besuch.Wenn ich nur wüsste wie es heute da oben aussieht? Kann mir jemand etwas darüber Berichten?

Markus 20.1.2016

Arhuaco hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Arhuaco hat gesagt…

Danke für Deine Freundschaftsanfrage
Im Namen von Gonawindua lade ich Dich herzlich ein mehr über uns zu erfahren

Sei gesegnet mit Licht und Liebe

Mit freundlichen Grüßen

Nicolas Falk
Iku Arhuaco
Botschafter
Gonawindua
ZHIGONESCHI
Das Zentrum für Kommunikation
Organisation Gonawindua Tayrona




• Im Jahre 2001 wurde aufgrund der Initiative der Mamos von Gonawindua das Kommunikationszentrum Zhigoneshi , mit dem Gedanke die archaische und visionäre Weltanschauung der indigenen Völker in der Sierra Nevada de Santa Marta der Welt mittels audiovisionellen Dokumentationen und Fotografien aus eigener Autorschaft , zu offenbaren , ins Leben gerufen. 

• Um diese archaische wie auch natürliche und dem Menschen ureigene, im Einklang mit der Lebendigen Schöpfung und den Grundgesetz der Liebe befindliche, Gesellschafts- und Regierungsform der ganzen Welt bekannt zu machen, hat sich eine Gruppe junger engagierter Ikus dem Iku-Zauberwort Zhigoneshi (ich helfe Dir Du hilfst mir) verschrieben und machten sich auf - und ausgerüstet mit den Medien- und Komunikationstechnologien des modernen Informationszeitalter an dieses wichtige Werk. 

• Zhigoneshi erfüllt diese Mission im Namen von Mutter Natur damit unsere Mitmenschen Brüder und Geschwister außerhalb dieser ursprünglichen Heimat der Ikus und der großen Mutter eigenes Hoheitsgebietes diese zu erkennen und anerkennen und die Natur und die Urkultur des Menschen kennen und schätzen lernen, aber auch um Allianzen zu deren Schutz und Erhaltung zu fördern. 

Drei Jahre später entstand im Schoße der indigenen Organisation Gonawindúa Tayrona ein Produktionszentrum für Für Audiovisuelle Darstellungen mit einer digitalen Datenbank das derzeit über ein umfangreiches Archiv der unterschiedlichsten Aspekte unserer Kultur verfügt. Das Team von Zhigoneshi setzt sich vollständig aus Fotografen und Kameraleuten der Kogi, Wiwa und Arhuaco zusammen. Diese Ausstellung ist die erste, welche das Kommunikationszentrum Zhigoneshi der Welt präsentiert. Damit werden die Anweisungen des obersten Heimatrates (Gremium zusammengestellt aus vier Repräsentanten der Indigenen Orden von Gonawindua )erfüllt, in schriftlicher und visueller Darstellung, Die angestammten Ahnenhoheitsgebiete sowie die Weltanschauung und die Ursprüngliche Ordnung von Gonawindua der Welt bekannt zu machen, 
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Arhuaco hat gesagt…

(zhigoneshi@outlook.com)