Mittwoch, 27. Juni 2007

Könige der Strasse (Armenia, Colombia)

Von Cali fuehrt mich die Reise nach San Cipriano. Ich fahre im Sammeltaxi in Richtung Buenaventura, der wichtigsten Hafenstadt des Landes am Pazifik. Von karger Bergvegetation geht es hinunter durch die immer gruenere Landschaft.

Noch vor kurzem galt diese Strecke als gefaehrlich, da die Guerrilla sich in dieser Region aufhielt. Doch heute kann man sicher reisen. Daran erinnern immer wieder Plakate mit der Aufschrift: “Reise beruhigt – deine Armee bewacht die Strasse”. Und so ist der Cali-Buenaventura Highway denn auch gesaumt von Polizei und Militaer. Alle paar Kilometer in regelmaessigen Abstaenden stehen sie da, in ihren Tarnanzuegen, schusssicheren Vesten und bis auf die Zaehne bewaffnet mit Maschinengewehr. Waehrend die Militaers “nur” Praesenz markieren und bewachen, kontrolliert die Polizei auch die durchfahrenden Fahrzeuge. Immer wieder wird man angehalten, ein kritischer Blick des Beamten durch die Passagiere, ein kurzer Blick ins Gepaeckfach auf der Suche nach Drogen dann geht es weiter…


Gefaehrlich ist die Strecke trotzdem. Daran erinnern immer wieder die Strassenschilder: “Hohes Unfallrisiko – fahre langsam”, “Gefaehrliche Kurve – fahre langsam”. Gesaumt ist die Strecke denn auch nicht nur von Polizei und Militaer, fast so haufig sieht man auch kleine Kreuze am Strassenrand… Kann ich jetzt beruhigt reisen oder muss ich bangen?
Gemischte Gefuehle auf dem Hinweg im Sammeltaxi, Angst beim Rueckweg im Bus. Denn sowohl die Bus- wie auch Lastwagenfahrer in wohl ganz Lateinamerika glaubt sich Koenig der Strasse zu sein. Es scheint ein regelrechter Kampf zu sein, sich gegenseitig zu beweisen, wer der echte Koenig, der Rey de la Carretera, ist, und so liefern sich Busse und LKWs regelrechte Wettrennen. Trotz doppelt durchgezogener Mittellinie und Warnschildern (“Bei durchgezogener Linie nicht ueberholen – hohes Unfallrisiko”) sieht und erlebt man die krassesten Ueberholmanoever: Galaxia (mein Bus) gegen Transsur, Transsur gegen Pickups, Pickup gegen den vom Hafen kommenden mit “Hapag Lloyd” Container beladenen Truck, “Hapag Lloyd” gegen “Hamburg Sued” gegen “China” gegen Transsur gegen Galaxia… alle gegen alle…

Nach den abenteurlichen Strassenverhaeltnissen kann mich nichts mehr aus der Ruhe bringen, so glaube ich, bis ich mein naechstes Verkehrsmittel sehe: die Bruja oder Brujita (Hexe / Hexlein). Um nach San Cipriano zu gelangen muss man in Cordoba, kurz vor Buenaventura, auf die Brujita umsteigen. Da die Eisenbahngesellschaft diese Strecke eingestellt hatte, blieb San Cipriano abgeschnitten, ohne Strassen und Verkehrsanbindung. Doch da waren noch immer die Schienen! Man muss sich nur zu helfen wissen, und so kreierten die Bewohner ein neues Verkehrsmittel, die Brujita. Ein Motorrad, ein paar Bretter, Naegel, Raeder fuer die Schienen und eine kleine, lose aufs Gefaehrt gestellte, wackelige Holzbank damit die Passagiere bequem reisen – das ist die dreisinenartige, kleine Hexe, welche heute San Cipriano mit dem Rest der Welt verbindet.
Nach Sicherheitsmassnahmen fragen sollte man nicht, denn es gibt keine. Ja ja, Unfaelle haette es schon gegeben, erzaehlt mein Chauffeur, wenn eine Brujita nach oben will wenn gleichzeitig eine nach unten faehrt und keiner nachgeben will und die Schiene verlaesst… Kleine Koenige der Schienen anscheinend eben auch hier! Da bin ich ja mal gespannt - und los geht das Abenteuer. Die rasante Fahrt geht vorbei an kleinen einfachen Huetten, bellenden Hunden, ueber die Schienen springenden Kindern, ueber unstabil wirkende Bruecken und durch ueppigen Dschungel hinunter nach San Cipriano. Auf meiner Brujita sind wir vier sitzende Passagiere und zwei stehende, die sich an meiner Schulter festhalten, und – natuerlich – der Chauffeur. Wir naehern uns einem Mann, der seine eigene Brujita faehrt. Er hat keinen Motor, sondern nur einen Stock, mit dem er sich am Boden vorwaerts stosst. Runter geht das gut, doch bergwaerts muss es ganz schoen anstrengend sein!! Wir hupen, schnell springt er zusammen mit seinem Gefaehrt von den Schienen und wir duesen vorbei …

San Cipriano ist ein kleines Doerfchen, umgeben von tropischem Regenwald, an den Ufern eines Flusses gelegen, der zum Baden laedt. Die Bevoelkerung hier ist mehrheitlich schwarz und lebt in einfachen Hauschen. Ueber den steinigen Weg springen Huehner, rennen Hunde und Kinder spielen Fussball. Der Ort erinnert mich, nicht zuletzt wegen der schwarzen Bevoelkerung, an die Karibikkueste Zentralamerikas. Obwohl das Dorf nicht am Meer liegt, ist die Atmosphaere vergleichbar mit der eines kleinen Fischerdoerfchens am Strand. Obwohl es bewoelkt ist und nieselt ist es heiss und schwuel und nichts besser als ein Bad im Fluss.



Es heisst, in Kolumbien werden immer wieder Leute entfuehrt, und so sollte es auch mir ergehen. Ein junger Mann steigt aus dem Fluss und spricht mich an. Ich kann mich kaum wehren, so verlockend ist sein Angebot, und schon sitze ich auf seinem Moped, entfuehrt zu noch schoeneren Orten am Fluss, noch weiter drin im Dschungel. Hier ist der Fluss richtig tief und herrlich zum Schwimmen. Opfer meiner Entfuehrung mein Brujita-Chauffeur, mit dem ich eine Zeit fuer die Rueckfahrt vereinbart hatte. Dieser einzigartige Ort am Fluss liess mich einfach nicht mehr los, und so musste er eine ganze Weile auf mich warten – was ihn zum Glueck nicht zu stoeren schien, denn schliesslich weiss er ja auch Bescheid ueber die Situation in seinem Land und die Verlockung seiner Schaetze…

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