Dienstag, 16. September 2008

Benzinmangel und Chicha im Ueberfluss (Cochabamba, Bolivien)

Die "Fiesta" beginnt schon bevor wir losfahren... Cochabamba steht still - diesmal unfreiwillig! Aufgrund der geschilderten Probleme gibt es kein Gas und kein Benzin, nur noch wenige Autos sind unterwegs. Alan (mein Arbeitskollege) will mich abholen mit einem Taxi, doch der Taxista kommt dann doch nicht, denn das Benzin ist unterwegs ausgegangen und es gibt keinen Nachschub. Also versuche ich auf "meiner" Avenida Blanco Galindo, die mehr befahren ist, ein Taxi zu nehmen. Doch die Antwort ist immer die selbe: Zur Av. Beijing (wo Alan wohnt) bringen wir Dich, nicht aber danach nach Quillacollo (ca. 14 km von Cocha entfernt) wo der Bus nach Independencia faehrt - es gibt kein Benzin! Irgendwie schaffen wir es dann doch noch, eingequetscht in einem der wenigen vollgestopften Trufis nach Quilla...

Von hier geht die Fahrt ueber eine abenteuerliche Schotterpiste erst auf ueber 3'800 m.u.M., bevor es dann wieder auf 2'500 m heruntergeht. Die Strecke ist gesaeumt von karger Andenvegetation, doch das Bueschelgras und die Felsen bestechen durch immer wieder andere Farben: mal orange, mal rot, gelb, gruen oder grau. Obwohl karg, kann ich mich kaum satt sehen. Aus der Musikanlage rauscht die Musik der Anden, wehmuetiger Gesang begleitet vom Klang des typischen Charangos, dann zur Abwechslung der eintoenige Beat der argentinischen Cumbia Villera. Mal passieren wir eine Gasleitung, die sich bis zum Horizont erstreckt (und momentan wahrscheinlich kein Gas fuehrt), dann ein einsames Lehmhauschen oder ein kleineres Dorf. Die Gegend ist kaum besiedelt, so sehen wir denn auch mehr Lamas und Schafe als Menschen. Die schlussendlich fast 8-stuendige holprige Fahrt ist anstrengend, der unbequeme Bus fuellt sich mit Staub, immer wieder muessen wir waghalsige Manoever bei Gegenverkehr auf der engen Piste ueber uns ergehen lassen - neben uns geht es steil runter und ab und zu erinnert ein kleines Kreuz am Strassenrand an Verunfallte. Kaum beruhigend ist, dass wir statistisch gesehen auf der zweit-gefaehrlichsten Strecke Boliviens unterwegs sind. Immerhin erfahren wir erst als wir in Independencia ankommen, dass der Chauffeur die Strecke heute erst zum zweiten Mal gefahren ist!! ;-)

In Independencia treffen wir auf Verwandte von Alan, und wir fahren direkt weiter nach Machaca, wo eben die Fiesta del Señor de Exaltación stattfindet.
Machaca ist ein kleines Nest am Ende der Welt, das aus gerade mal ca. 9 Cuadras (3x3 Blocks)aus Lehmziegelhauschen besteht. Das hier ist Landleben pur! Es gibt keinen Luxus, nicht einmal Klos (dazu dienen einfach die umgebenden Berge oder auch mal der Hauptplatz) dafuer pure Luft und Ruhe... Und gefeiert wird auch hier wie richtig! Auf dem Musikpavillon auf dem Hauptplatz spielt die lokale Brass Band, die bald schon durch laute Cumbia aus den daneben aufgestellten Lautsprechern uebertoent wird, in einer anderen Ecke der Plaza tanzt eine unermuedliche Truppe floetenspielender Maenner um einen mit Chicha gefuellten Plastikeimer (Typ: ehemaliger Farb-Behaelter vom Bau). Jeder der Taenzer / Musiker ist geschmueckt mit einem "Panzer" aus echtem Leopardenleder oder -Fell und bunten Federn. Bier und Chicha fliesst in Stroemen, und ich werde ins Ritual des Chicha-Trinkens eingeweiht: Wer eingeladen wird, muss (oder sollte zumindest) trinken und fuellt als naechstes das Trinkgefaess, eine Art halber Kuerbis, um den Naechsten einzuladen. Immerhin muss der erste oder letzte Schluck, zu Ehren Pachamamas - der Mutter Erde - auf den Boden gekippt werden. Ein Glueck fuer mich, wenn das herbe Maisbier, in dem man meistens auch ein Stueck Stroh oder eine Fliege oder ein Haar findet, zu bitter schmeckt... Doch mit einer genuegend grossen Portion Kokablaetter im Mund wird auch fuer mich die Chicha bald ertraeglich... ;-) ("Koka ist kein Kokain, sondern das heilige Blatt der Inkas" - singt die Band) Es wird spaet an diesem Abend.
Wir koennen unser Zelt als Nachtlager im Innenhof eines Hauses aufstellen, neben Ziege und Zicklein, doch ich schlafe kaum, denn es wird bitterkalt und natuerlich dauert die laute Fiesta die ganze Nacht!

Am naechsten Morgen werden wir von vier staunenden Kinderaugen begruesst, die sich zoegerlich unserem Zelt naehern und es schuechtern untersuchen und befassen. Nebenan sind die Ziegen bereits verschwunden, dafuer hocken die Frauen der Familie im Kreis am Boden und bereiten ein grosses Festessen vor. Wir muessen unser Zeltlager denn auch abbrechen, denn hier wird heute Hochzeit gefeiert! Bald ist der Innenhof mit silbernem Lametta und weissen Klopapier geschmueckt, und an der Lehmwand werden ein paar bunte Tuecher aufgehaengt.

Der Tag beginnt gemuetlich, wir fruehstuecken erst auf der Strasse, dann geht es direkt weiter mit Chicha und Bier... Ich geniesse die Sonne und fahre mit Verwandten von Alan etwas in die Berge hoch. Zum Mittagessen werden wir von einer Familie eingeladen (man wird hier immer und zu allem eingeladen - die Leute sind so was von herzlich, es ist unglaublich!) Am Nachmittag dann geht das Feiern weiter (diesmal auf dem Fussballplatz) mit Musik und Tanz, und ich lerne traditionelle Morenadas zu tanzen - gar nicht so schwierig, nur sieht das ganze ohne bunten Rock der hin und her geschwungen wird, ganz und gar nicht spektakulaer aus... Darauf wird ein schwarzes Heiligenbild zur Kirche getragen (den Gottesdienst lassen wir aber aus) und danach werde ich Zeuge, wie der Sacerdote (Pfarrer) auf dem Fussballfeld ein paar der stationierten Autos und Lastwagen mit Weihwasser segnet. Die Autos wurden alle bereits schoen geschmueckt, und werden jetzt, wenn nicht mit Weihwasser zumindest mit Bier oder Coca Cola oder sonst etwas moeglichst Klebrigem uebergossen, damit das danach darauf geworfene Konfetti auch moeglichst lange daran kleben bleibt...

An diesem heiligen Tag heiraten etwa 3 Paare - und so konzentriert sich die Fiesta am spaeteren Nachmittag und Abend auf den 3 Hochzeitsfeiern. Teilen ist Kultur der Anden, und so wird ganz selbstverstaendlich jeder, der gerade vorbeikommt, zur Feier inkl. Hochzeitssuppe oder -Torte eingeladen. Doch bevor es Torte gibt, muessen die Singles antraben und an einem aus der Torte haengenden Schnuerchen ziehen. An einem davon haengt ein Ring: wer ihn zieht wird als naechstes heiraten. Ich komme zu spaet und kriege "nur" noch Torte ab. ;-) *mmmh - lecker* Beim Tanz danach fliesst wieder Chicha in Stroemen, manch einer tanzt bald nicht mehr, sondern sitzt irgendwo beduselt in einer Ecke.
Heute bekommen wir zum Schlafen eine Matratze bei irgend jemandem zu Hause angeboten - was fuer eine Wohltat nach der kalten Nacht zuvor, und wie unglaublich, wie selbstverstaendlich Fremde hier aufgenommen werden!

Der dritte Tag der Feier soll der spektakulaerste sein: Corrida de Toros - Stierkampf ohne Torero, a lo boliviano! Den Stieren werden kleine Tuecher um den Hals gebunden, darin versteckt etwas Geld. Die jungen Maenner des Dorfes rennen dann den Stieren hinterher, um den Preis zu ergattern. Manch einer bezahlt dafuer mit einem heftigen Schlag des Stiers in den Hintern, einer wird auf die Hoerner genommen und weit durch die Luft geschlaeudert und bleibt bewusstlos liegen... Aber wie mir Alan zuvor erklaert hat, ist eine Corrida de Toros ohne Blut schliesslich langweilig... ;-)


Independencia

2 Kommentare:

kyles anima hat gesagt…

Love this photo of the kid and the dog, as well as the others!

Unknown hat gesagt…

Hoi Eva

...den ersten Schluck oder den letzten Schluck hast Du (habt Ihr) doch Jahre lang trainiert - nur galt damals nicht ausgiessen, sondern im Gegenteil trinken. Hoffentlich hast Du nicht velwechsert...
Werde mal schauen, ob ich noch eine Karte von Bolivien finde, um die zweitgefährlichste Strasse zu finden - ist nicht JEDE Strasse gefährlich? ...und zwischen Grüningen und Unterottikon steht auch ein Kreuz...
MhDsg Franz