Sonntag, 15. Juli 2007

Schokolade, Schwein und Strand (Santa Marta, Colombia)

Stellt Euch vor, ihr bekommt eine heisse Schokolade und da ihr gesagt habt, dass ihr Kaese moegt, wird der Kaese gleich IN der Schoko serviert. Ist zwar etwas ungewoehnlich, schmeckt aber gar nicht schlecht, da der Kaese hier ziemlich neutral (um nicht zu sagen fad) schmeckt. Und wenn wir es gerade von Kaese haben: eigentlich sind die Schweiz und Kolumbien ziemlich aehnlich. Darauf jedenfalls schliesst Andrés aus Filandia, der mir auf der Strasse einen leckeren Fruchtsalat verkauft hat (ja, natuerlich mit Kaese drauf!), als ich ihm erzaehle, dass es in der Schweiz viele Kuehe und Kaese gibt.

Die Schweiz aehnlich wie Kolumbien? Also ich weiss ja nicht... Stellt Euch vor, ihr esst statt Popcorn "Hormigas Culonas" (etwa: Grossarsch-Ameisen *g* - schmecken uebrigens - wie koennte es anders sein- nach Kaese... ) Oder stellt Euch z.B. mal vor, ihr geht zum Bahnschalter der SBB und verhandelt um den Fahrpreis. Bei den Bussen hier wird meistens ein Rabatt gewaehrt, denn schliesslich faehrt der Bus ja schon fast los, oder ihr wisst, dass die Konkurrenz etwas guenstiger faehrt, oder weil der Bus im Gegensatz keine Klimaanlage hat, oder ganz einfach weil ihr findet es sei zu teuer...


Wie bereits geschildert, sind die Busse hier die Koenige der Strasse. Bedenkt man zudem, dass hier in Lateinamerika die Kuehe, Ziegen, Schafe, Huehner, Schweine etc. nicht nur auf eingezaeumten Wiesen weiden, sondern sich auch gerne direkt am Strassenrand (oder auf der Strasse) tummeln, erstaunt es kaum, dass es ab und zu auch zu Unfaellen kommt...

Ich sitze also im Bus von Cartagena nach Santa Marta (fuer den ich natuerlich einen Rabatt gekriegt habe) und ein armes Schwein (im wahrsten Sinne des Wortes) kommt unter unsere Raeder. Erst merke ich gar nicht, was los ist, als der Busbegleiter aussteigt und der Fahrer den Rueckwaertsgang einlegt. Was dann passiert kommt mir sehr suspekt vor... Fahrer und Busbegleiter hieven das tote, blutende Vieh einfach ins Gepaeckfach des Busses. Waehrend der folgenden, etwa zweistuendigen Fahrt nach Barranquilla stelle ich mir vor, wie es im Gepaeckfach langsam nach Tod riechen muss und wie das Blut des Tierchens alles Gepaeck (auch mein Rucksack!!) verklebt... Immer wieder halten wir in den Doerfern an, das Schwein wird ausgeladen, weggetragen um kurz darauf dann wieder im Gepaeckfach verstaut zu werden. Es scheint sich einfach kein Abnehmer fuer die tote Sau zu finden...

Erst ab Barranquilla fahren wir schweinelos weiter. Mit zwei Stunden Verspaetung treffen wir in Santa Marta ein. (Verspaetung nicht (nur) wegen der Schweine-Aktion, auch weil wir in Barranquilla auf neue Passagiere warten mussten, damit der Bus voll weiterfahren kann, weil wir uns alle darueber schweinisch aufregen mussten und vom Fahrer im Bus eingeschlossen wurden weil wir uns sonst haetten wehren koennen und mit einem anderen Bus weitergereist waeren... aber das ist eine andere Geschichte... mein Rabatt war jedenfalls angesichts dieser Tatsache viel zu klein!)

In Santa Marta wartet Fernando auf mich. Ihn habe ich durch Couchsurfing in Bogota kennengelernt und da er sowieso geschaeftlich nach Barranquilla musste, nutzte er die Gelegenheit so ein paar Tage an den Straenden von Santa Marta zu relaxen. Etwas oestlich von Santa Marta befindet sich naemlich Tayrona – ein kleines Paradies auf Erden. Einfach herrlich um die Seele im Schatten der Palmen baumeln zu lassen. Und so verbringe ich die letzten Tage meiner Reise im Zelt und an einigen der wohl schoensten Straende der Welt. Natur und Bilderbuchkaribik pur. ...und rufte nicht die Arbeit, wer weiss wie lange ich da bleiben wuerde... Kokospalmen, Karibik, Kolumbien...

Dienstag, 10. Juli 2007

Bienvenido al Caribe! (Cartagena, Colombia)

Mein erster Eindruck von der Karibik Kolumbiens war erst einmal getruebt:

Kaum nahe des Zentrums von Cartagena aus dem Stadtbus ausgestiegen, naehert sich mir ein junger Mann. Er versucht mir meinen kleinen Rucksack zu entreissen. Da ich diesen jedoch am grossen angebunden habe und festklammere scheitert sein Versuch. Da ich im Bus eben noch Musik hoeren wollte (die jedoch von der lauten Vallenato Musik im Bus selber uebertont wurde) haengt immer noch mein MP3-Player um meinen Hals, zwischen meinem Bauch und dem kleinen Rucksack. Da er den Rucksack nicht kriegen kann, wird logischerweise der Player zum Ziel des Räubers. Ich versuche mich zu wehren, doch viel zu schnell laeuft er weg mit meinem MP3... Tja, Pech gehabt, denke ich schon... „Por dar papaya!“ – wie man in Kolumbien zu sagen pflegt - selber dumm, den Player nicht im Rucksack zu tragen!

„Hijuepuuuta, Ladrón, Malcriaaado, Policíiiia, Hijuepuuuta...“ schreie ich, waehrend ich versuche dem Typen hinterher zu rennen – wobei ich natuerlich beladen mit grossem und kleinem Rucksack jaemmerlich scheiteren muss... Der Junge verschwindet unter einer Bruecke, ebenfalls meine Hoffnung, den Player je wieder zu sehen... Ich hatte den MP3 also schon abgeschrieben (waere ja nicht das erste Mal, gell Uli!!) und wollte mich auf die Suche nach einem Hostal machen, doch da bin ich schon umringt von einer Horde Zeugen und Passanten. Was passiert sei, wo er hin gerannt sei, was geklaut wurde etc wollen sie wissen. Kurz darauf faehrt ein Pick-Up voller Militaers vorbei, der von einem der Maenner gestoppt wird. Aus dem Laster steigt nun eine Horde Soldaten (sicher 10 – 15 Maenner), diese zuecken ihre Waffen und nachdem ein Zeuge unter die Bruecke zeigt verschwinden sie einer nach dem anderen darunter. Ploetzlich heisst es nun, es wurde mir nicht nur der MP3 geklaut, sondern auch noch die Kamera und mein Pass und ich sei mit einem Messer bedroht worden. Immer wieder muss ich den Militaers und den spaeter dazu gestossenen Polizisten erklaeren, dass es nur ein kleiner MP3 Player war, dass es sich nur um einen Entreissdiebstahl handelt und mich der Mann in keiner Weise bedroht hatte. Es ist echt unglaublich, wie schnell die Leute Geschichten erfinden... Ich finde die Situation ausserst skurril, eine halbe Armee wegen einem MP3-Player!!!

Es dauert keine fuenfzehn Minuten, da pfeifen mich die Polizisten auch schon zu sich, hinter die Bruecke. Da hockt er auf dem Boden im schwarzen T-Shirt, im Dreck, voller Staub und am Kopf stark blutend, der Mann, welcher alles leugnet, von nichts wissen will, jedoch von allen Zeugen klar identifiziert wird (obwohl er eben noch ein blaues T-Shirt getragen hat...)

Die Passanten werden weg geschickt, und zusammen mit zwei Zeugen, zwei Polizisten und dem in Handschellen gelegten Taeter trotte ich in Richtung Stadtpark, wo sich anscheinend die naechste Polizeistation befindet. Der Taeter wird in einer Ecke des Postens angekettet und muss auf dem Boden hocken, waehrend ihn die Beamten beschimpfen... Lange geschieht ausserdem gar nichts, und ich beobachte die Aeffchen, welche in den Baumen des Parks herumturnen.

Ich warte und warte, und weiss eigentlich gar nicht worauf, bis mit einer der Beamten froh erzaehlt, man haette meinen MP3 gefunden. Zehn Minuten spaeter kommt dann auch ein Polizist angefahren und uebergibt mir stolz meinen Player. „Wie die Huehner mussten wir im Sand unter der Bruecke scharren...“ – meint er grinsend. Ich kann es kaum glauben!! Eine halbe Armee und ein paar Polizisten haben meinen Player davor gerettet, auf dem Schwarzmarkt zu landen! :^)

Obwohl es viele nicht verstehen, denen ich den Vorfall erzaehlt habe, aber ich habe den Mann nicht angezeigt. Der knapp 22-jährige lebt unter der Bruecke und klaut wegen seiner Drogensucht. Er ist meiner Meinung nach nicht nur Taeter, sondern auch Opfer seiner Gesellschaft. Die Angst die er unter der Bruecke wohl ausstehen musste, als eine halbe Armee einmarschiert ist Strafe genug... ;^)

Freitag, 6. Juli 2007

Tengo la camisa blanca (San Gil, Colombia)

Juanes hat nicht mehr die "Camisa Negra" sondern die "Camisa Blanca". Eine neue Bedeutung bekommt sein Lied, wenn er singt "Volverte a ver":

(...) Porque sin ti mi vida yo no soy feliz
Porque sin ti mi vida no tiene raíz Ni una razón para vivir lo único que quiero es poder regresar Poder todas las balas esquivar y sobrevivir Tu amor es mi esperanza y tú mi munición Por eso regresar a ti es mi única misión (...)

Juanes singt im T-Shirt mit der Aufschrift "Tengo la camisa blanca - por la paz en Colombia" Am 18 Juni hat die FARC 11 Diputados (Abgeordnete) aus dem Valle del Cauca, genau 5 Jahre nachdem sie sie entfuehrt hat, ermordet. Seither protestiert Kolumbien. Gegen die Entfuehrungen, gegen die Gewalt, fuer den Frieden. Zu hundert Tausenden sind sie auf der Strasse, in Bogota, Medellin, Cali, Bucaramanga, Barranquilla... im ganzen Land. Alle schwingen sie weisse Fahnen, halten Fotos Verschwundener oder brennende Kerzen in den Haenden, und Juanes singt...

Auch in Villa de Leyva wird protestiert. Durch die Strassen faehrt ein Auto mit Lautsprecher: "No queremos mas secuestrados. Paz para Colombia" - und an der Kirche haengt ein weisses Banner mit der Aufschrift "Jesus - nunca mas" und den Namen einiger der 4200 Entfuehrten...


Das Banner ist das einzig weisse am Hauptplatz von Villa de Leyva. Obwohl auf allen Postkarten und Fotos das Kolonialstaedtchen weiss strahlt, sieht das Zentrum momentan sehr bunt aus. Gelb die Kirche, blau, rot, gruen und braun die anliegenden Hauser. Was ist nur passiert? ... Tja, in Kolumbien scheinen Telenovelas sehr wichtig zu sein. So wichtig gar, dass man dafuer ein ganzes Dorf veraendert! Fuer die Telenovela "El Zorro" wurde Villa de Leyva bunt gefaerbt. Dies bleibt so bis im kommenden November, dann ist fertig gefilmt und Villa de Leyva wird wieder weiss gestrichen... Ob bis dann auch weisse Friedenstauben durchs Land streichen? ...

Dienstag, 3. Juli 2007

Eindrücke aus Bogota (Bogota, Colombia)

Jeden Sonntag nehmen tausende Menschen die Stadt per Fahrrad ein. Über 120 Kilometer der Hauptverkehrsadern der Stadt bleiben an diesem Tag mehrere Stunden für Autos gesperrt. Dies ist der Tag der Ciclovia. Es wäre nicht Lateinamerika, wenn dies nicht zu einem grossen Volksfest würde. Die Menschen sind unterwegs per Zwei-, oder Dreirad, Inlines oder sonstigem fahrbaren Untersatz. Imbissbuden säumen die Strasse, alle sind fröhlich, lachen, geniessen nach der Velotour die Grünflächen entlang der Strecke. Es wird gequatscht, gesonnt, gepicknickt und geküsst. Ich bin in Bogota gelandet und es ist unheimlich friedlich.

Streifzug durch Bogota. An einer Ecke die Smaragdverkäufer, auf dem Platz vor dem Goldmuseum der Hippiemarkt. Das Goldmuseum soll eines der besten ganz Lateinamerikas sein, zumindest eines der bestbewachten. Die sagenumwobenen präkolumbinischen Goldschätze lagern hier hinter dicken Panzertüren und gesicherten Vitrinen. Auf drei Stockwerken sind die fein gearbeiteten Schätze zu bewundern. Noch viel mehr der Stücke landeten leider nicht hier, sondern als Goldbarren in Spanien. Eingeschmolzen und ins Vaterland verschifft von den goldsüchtigen Kolonialisten.

Auf der Strasse bittet mich ein Bettler um Geld, das ich ihm negiere. Darauf hin bekomme ich seine Lebensgeschichte zu hören. Vertrieben wurde er, aus seinem ehemaligen Wohnort, von den Grossfirmen und ihrer „Selbstverteidigungsarmee“, den Paramilitärs. Einer der zig-tausend internen Flüchtlingen, die in der Hauptstadt ein neues Leben suchen. Und nicht finden. Was mich stutzen lässt, seine folgende Aussage: „Das hier ist nicht das Paradies, wir leben nicht in der Schweiz“ Er kann nicht wissen, dass ich Schweizerin bin. Er erreicht was er wollte und ich gebe ihm ein paar Pesos, für seine traurige Geschichte.

Ist die Schweiz wirklich das Paradies? Und – geht es uns vielleicht so gut, da es den Leuten hier schlechter geht? Dunkle Gedanken trüben den Tag. Immerhin gehören auch die Schweizer Unternehmen Nestlé und Glencore zu den Firmen hier, die erwiesenermassen im Namen der Gewinnoptimierung mit Hilfe der Paramilitärs ihre Gewerkschaften unterdrücken. Unbegründete Entlassungen, Vertreibungen, Einschüchterungen, Mord...

Kolumbien ist ein intensives Land.

Anschliessend Aufstieg zum Monserrate, Bogotas Hausberg. Nicht unanstrengend, schliesslich geht es von 2'500 auf 3'000 Meter. Entlang des Pilgerweges zum Gipfel ist die Unterhaltungsindustrie präsent. Man fühlt sich wie auf einem Jahrmarkt. Verkäufer mit Lotterielosen, ein improvisierter Schiessstand, Verkäufer von Kruzifixen und Marienbildchen, kleine Buden, wo man vom Süssgetränk zu Hormigas Culonas („Grossarschameisen“ – eine kolumbianische Alternative zu Popcorn) alles kaufen kann. Doch am erfolgreichsten scheint der Mann, der Stromstösse verkauft. Vor ihm scharrt sich die Horde. Der Spieler nimmt ein Metallstücke in jede Hand, während der Stromverkäufer per Kurbel die Dosis erhöht. 60, 65, 70... zählt laut der Verkäufer mit. Erst kribbelt es wohl, bis es weh tut. Kurz vor 80 lassen sie alle los, und verlieren somit den gesetzten Einsatz. Nur einer gewinnt. Der Alte grinst verschmitzt. Ich vermute, ein Komplize des Verkäufers, ohne Stromspannung. Ich liebe originelle Methoden zur Geldbeschaffung, und die Naivität der Leute.

Daneben die Pilger, die in Dank an die Wundersame schwarze Jungfrau von Monserrate barfuss, oder auf den Knien den Berg hoch steigen. Eineinhalb Stunden, bis die Knie bluten.

Herrliche Aussicht von oben. Bogota ist mit über 7 Millionen Einwohner die grösste Stadt in den Anden. Das sind so viele Einwohner, wie die ganze Schweiz. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass die Zahl wohl stimmt. Im Norden (die Reichen), gen Süden (die Armen), gen Westen - überall Stadt, bis zum Horizont. Doch Blick in den Osten: grüne Täler und Berge. Kolumbien ist voller Gegensätze.